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Warum das Programm der konventionellen Landwirtschaft („je billiger, desto besser”) das gerade Gegenteil darstellt von „gut und günstig” und was politisch daraus folgt

(In: Junge Welt, 24.7. 2025)

Wie „Kosten sparen” an anderer Stelle Kosten produziert

Wer sich an „Kostenehrlichkeit” orientiert, wird feststellen: Zwar vermag die gegenwärtige Landwirtschaft Agrarprodukte billig zu produzieren, zugleich verursacht sie genau dadurch hohe Kosten. Beispiele vergegenwärtigen dieses Problem: Betriebe mit einer großen Konzentration von Vieh auf wenig Raum belasten das Grundwasser. Den Einsparungen durch den Massenbetrieb für das jeweilige Agrarunternehmen stehen höhere Kosten für die Wiederaufbereitung des Wassers gegenüber. „Hält man Kühe auf der Weide und diese fressen Gras und düngen den Boden mit ihren Ausscheidungen, hat man einen Kreislauf und produziert nachhaltig Milch. Füttert man Kühe hingegen im Stall und baut hierfür vermehrt Mais an, ist das anders. Mais ist ein für das Kapital optimales Getreide, weil er sehr energiereich ist und eine große Biomasse pro Hektar hat. Aber zugleich muss Mais gespritzt und gedüngt werden, reduziert den Humusgehalt der Böden und setzt so CO2 in die Atmosphäre frei” (Dargel 2024).

Monokultureller Anbau senkt die Kosten. Es sind weniger Arbeitskräfte erforderlich. Das Agrarunternehmen kann dann produktiver arbeiten als ein ökologisch ausgerichteter Betrieb, ver-ringert allerdings die Bodenqualität und die zukünftige Bodenproduktivität. Ein hoher Einsatz von Schädlingsbekämpfungsmitteln sowie von Substanzen, die das Wachstum des Viehs künstlich beschleunigen, verringern die Kosten des Agrarbetriebs, erhöhen aber zugleich die indirekten negativen Effekte, die von dieser Landwirtschaft ausgehen. Konventionell gehaltene und gefütterte Kühe geben mehr Milch als Kühe in artgerechter Tierhaltung, werden aber mit einem Kraftfutter gefüttert, das eine schlechte Klimabilanz aufweist. (Zur genaueren Darlegung vgl. https://www.biotopia-greifenhagen.de/2022/08/08/die-kuh-als-klimakiller-tatsache-oder-mythos/) „Bezogen auf die bewirtschaftete Fläche verbrauchen Ökobetriebe etwa nur die Hälfte an Energie, und Energie ist nun mal Klimakiller Nummer eins” (Ebd.).

Der Imperativ, die Agrarprodukte bzw. Lebensmittel möglichst billig zu produzieren, steht sehr oft im Gegensatz zu einer für die Menschen gesunden Landwirtschaft sowie zu gesunden Lebensmitteln. Wer wie Bio-Bauern auf chemisch-synthetische Dünge- und Pflanzenschutzmittel
verzichtet, muss, wie das Informationsportal Ökolandbau 2023 erklärt, die „Pflanzen zum Beispiel durch mechanische Maßnahmen oder eine weite Fruchtfolge frei von Unkraut und Schädlingen halten. Die Düngung erfolgt mit Wirtschaftsdüngern und Stickstoff wird über den Anbau von Leguminosen in die Fruchtfolge gebracht. Diese umweltschonenden Methoden bedeuten einen weitaus höheren Arbeitsaufwand. Die Erntemengen sind jedoch geringer als im konventionellen Landbau.” Als Leguminosen werden sowohl Hülsenfrüchte (z. B. Erbsen und Ackerbohnen) als auch kleeartige Futterpflanzen (z.B. Luzerne, Rotklee) bezeichnet. Leguminosen enthalten viel Eiweiß und reichern den Boden mit Stickstoffdünger an, den sie entwickeln.

Wer Tierhaltung nach ökologischen Gesichtspunkten betreibt, ernährt die Tiere artgerecht. Damit ist das Kriterium für die Auswahl des Futters ein anderes, als wenn – wie in der konventionellen Landwirtschaft üblich – die Tiere auf Höchstleistung getrimmt und ihr Wachstum künstlich beschleunigt wird. Ein Bauer, der darauf verzichtet, bei dem verlängern sich die Mastzeiten der Tiere und er kann weniger Fleisch, Milch oder Eier anbieten.

Diese Beispiele zeigen: Eine anstrebenswerte Landwirtschaft orientiert sich nicht daran, mit möglichst wenig Kosten möglichst viel Einnahmen und eine maximale Ausbringungsmenge zu erzielen. Diese Zweckbestimmung stellt noch in einer zusätzlichen Hinsicht eine Verengung dar. Sie klammert die gemeinnützigen Leistungen wie Landschaftspflege und Naturschutz aus. Viele der dort anfallenden Aufgaben erfordern eine besonders intensive Arbeit und lassen sich in geringerem Maße maschinell durchführen. Das betrifft z.B. die Pflege von Hochstamm-Obstbäumen, wertvollen Wiesen an Hanglagen oder Hecken.

Schuld-Zuweisungen

Eine kurzschlüssige Interpretation der Preise von Lebensmitteln in Deutschland lautet: „Die Verbraucher wollen niedrige Preise.” Erst einmal sind es aber die großen Konzerne im Lebensmittelhandel, die die Preise festlegen. Edeka, Rewe, die Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland) und Aldi hatten 2024 zusammen einen Anteil von 76,3% am Umsatz. (https://lebensmittelpraxis.de/top-30-unternehmen-im-leh.html)

Weit verbreitet ist die Vorstellung „Die Verbraucher wollen wenig für Lebensmittel zahlen, also geht es den Bauern schlecht.” In Wirklichkeit hat derjenige Anteil der von den Endverbrauchern bezahlten Preise für landwirtschaftliche Produkte, der bei den landwirtschaftlichen Betrieben ankommt, kontinuierlich abgenommen. In Deutschland gelangten 1950 zwei Drittel der auf landwirtschaftliche Produkte bezogenen Verbraucherausgaben zu den Bauern. Zwischen 1965 und 1975 betrug dieser Anteil die Hälfte und heute ein Viertel (Ehlers 2024). Der größte Anteil der Verbraucherausgaben für Lebensmittel wandert in die Taschen von Lebensmittelindustrie und -handel.

Im Jahr 2019 bezifferten sich die Eigenkapitalrendite in den Regionalgesellschaften von Aldi Süd auf 19,7 Prozent, bei Aldi Nord auf 18,1 Prozent, bei den selbstständigen Rewe-Händlern auf 18,5 Prozent und für Edeka auf 17,3 Prozent (Lehmann 2023). Diese Eigenkapitalrendite liegen deutlich höher als in anderen Wirtschaftszweigen.

„Niemand soll es je vergessen, Bauern sorgen für das Essen”?
Bei den Protesten von Bauernverbänden Anfang 2024 war häufig die Parole „Wir (Bauern) ernähren das Land” zu vernehmen. Tatsache ist: Die deutsche Landwirtschaft orientiert sich zu einem erheblichen Teil nicht daran, die einheimische Bevölkerung zu versorgen. Sie hat 2023 Agrarprodukte im Wert von 98,66 Mrd. Dollar exportiert. Bei 83,6 Millionen Einwohnern in Deutschland 2024 macht das pro Kopf 1179,40 Dollar. Deutschland steht 2023 unter den führenden Exportländern für Agrarprodukte weltweit (nach Exportwert) auf Platz vier nach den USA, Brasilien und den Niederlanden.
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1188866/umfrage/fuehrende-exportlaender-fuer-agrarprodukte-weltweit-nach-exportwert/
Bereits die Weltmarktorientierung der Landwirtschaft bildet eine starke Ursache für den Preisdruck auf die Agrarprodukte. In einer anstrebenswerten Gesellschaft wird die Produktion – auch – von Lebensmitteln sich daran orientieren, den Bedarf innerhalb des Landes zu befriedigen und nicht daran, in der Konkurrenz auf dem Weltmarkt möglichst viel profitabel exportieren zu wollen. Mit der Deglobalisierung bzw. mit dem Abbau oder der Entmächtigung des Weltmarkts (vgl. Creydt 2021) entfällt eine Ursache dafür, die Lebensmittel möglichst billig zu produzieren, um im internationalen Wettbewerb andere Wettbewerber unterbieten zu können.

Zur Mentalität, mit der eigenen Arbeit oder Tätigkeit Produkte oder Dienstleistungen schaffen zu wollen, die sozial aus der Perspektive der Kunden und des Gemeinwohls sinnvoll sind, gehört auch ein Bewusstsein davon, wie der Agrarexport zu Dumping-Preisen z. B. nach Afrika den dortigen Bauern massiv schadet. Die Aufmerksamkeit von denjenigen, die sich in ihrer Arbeit nicht nur als Jobber auffassen, richtet sich auch auf die gesellschaftlichen Kontexte, in denen ihre jeweilige Arbeit steht. Gefragt wird dann: Wie trägt die „eigene” Branche dazu bei, schlechte gesellschaftliche Verhältnisse zu erhalten und zu fördern?

Die Hauptursache für den Drang, am Preis der Lebensmittel – koste es, was es wolle – zu sparen, resultiert aus dem Imperativ, die Aufwendungen für die Reproduktion der Arbeitskraft niedrig zu halten. In diese Kosten gehen die Lebensmittel ein. Der Anteil der Ausgaben für Lebensmittel an den Lebenshaltungskosten hat in den letzten 75 Jahren stark abgenommen. Die Ursachen dafür liegen sowohl in der Steigerung der Realeinkommen als auch in der in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzenden Industrialisierung der Landwirtschaft. Dass eine kapitalistische Marktwirtschaft billige Lebensmittel braucht, ist eine Maxime, die schon lange gesellschaftlich nicht mehr aufgeht. Was der Konsument durch billige Produkte der konventionellen Landwirtschaft einspart, muss er als Steuerzahler mehr bezahlen – für die teure nachträgliche Reparatur bzw. Kompensation der Schäden, soweit beide überhaupt möglich sind.

Der Horizont von Privateigentümern
Die „Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft” bildet diejenige Bauernorganisation, die sich eindeutig an einer für die Natur und die Gesundheit pfleglichen Landwirtschaft orientiert. Das ist sehr anerkennenswert. Zugleich geht es dieser Organisation um die Sicherung der Zukunft für jeden Hof. Dafür sei es erforderlich, die Verhandlungsmacht der Bauern gegenüber der Lebensmittelindustrie und dem Handel zu stärken sowie die Subventionspolitik umzustellen. Gegenwärtig entfällt der überwiegende Teil der Subventionen auf pauschale Flächenprämien und ist nicht verknüpft mit qualitativen Vorgaben für die Bewirtschaftungsweise.

Wer für die Existenz vieler einzelner eigenständiger Agrarbetriebe eintritt, kommt nicht umhin, die Konkurrenz zwischen ihnen zu bejahen. Selbst wenn die Ziele der „Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft” erreicht würden und kleinere sowie mittlere Betriebe zunächst in der Landwirtschaft dominieren, wäre dies nicht von Dauer. Konkurrenz ist ohne Sieger und Verlierer nicht zu haben. Mit der Konkurrenz würde erneut ein Konzentrationsprozess in der Landwirtschaft anfangen.

Zwar ist bspw. in Bergdörfern, in denen die Bauernhöfe klein sind, ein gewisses Mindestmaß an Kooperation üblich. Verschiedene Bauern wechseln sich dabei ab, die Kühe gemeinsam morgens auf eine Wiese zu treiben und abends wieder in den Stall zu bringen. Zudem gibt es unter Bauern Maschinengemeinschaften. Zugleich weisen Kleinbauern in geradezu sprichwörtlich besonders starkem Ausmaße die Mentalitäten von Privateigentümern auf: Man gönnt sich gegenseitig nicht das Schwarze unter dem Fingernagel. Neid sowie Rivalität herrschen, und das Leitbild des kleineren Bauern ist der größere Hof. Auf dem kleinen Bauernhof hat nur der Privateigentümer den Hut auf. Gleichberechtigte Arbeitskollegen kennt ein solcher Landwirt nicht. Einzelkämpfer zu sein – das bleibt nicht ohne negative Folgen. Ein solcher Hofherr hat zudem häufig nichts neben dem Hof. Der ist sein „ein und alles”, sein Lebenswerk. Die hohe Arbeitsbelastung des Bauern, der für die Bewältigung der Aufgaben nicht selten auch seine Familienangehörigen einbezieht, koexistiert mit dem eigensinnigen Stolz, auf seinem Hof sich als eigener Boss betätigen zu können. Zwar weist die Eigenständigkeit objektiv angesichts der ökonomischen Abhängigkeiten des Bauern enge Grenzen auf. Umso überkompensatorischer und schrulliger wird die Eigenständigkeit dann häufig (nur) inszeniert.

Die Glaubensüberzeugung „Jeder strengt sich nur für den Betrieb an, dessen Privateigentümer er ist” passt zu Selbständigen, die solo ihr eigenes Gewerbe betreiben. Diese Auffassung passt nicht zu Betrieben und Organisationen, in denen die Arbeit arbeitsteilig und als Zusammenarbeit vieler Arbeitender stattfindet. Die Anhänger der „Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft” wollen etwas produzieren, das der Umwelt nicht schadet und der Gesundheit der Kunden nicht abträglich ist. Dieses Problembewusstsein steht im Kontrast zu einem Privateigentümer-Horizont („Jeden Hof erhalten”): Die Privateigentümer „sind niemandem etwas schuldig, sie erwarten sozusagen von niemandem etwas; sie gewöhnen sich daran, stets von den anderen gesondert zu bleiben, sie bilden sich gern ein, ihr ganzes Schicksal liege in ihren Händen“ (Tocqueville 1987, 149). Dem Warenproduzenten ist es so lange egal, ob seine Produkte indirekte negativen „Neben”wirkungen aufweisen, wie diese unbekannt bleiben oder wie die Nachfrage nach seinen Angeboten nicht abnimmt, selbst wenn diese problematischen Effekte bekannt werden.

Vergesellschaftung und sinnvolle Arbeit
Eine anstrebenswerte Gesellschaft wird ihre Ökonomie so einrichten, dass der Gegensatz zwischen dem betriebswirtschaftlichen Nutzen und dem gesamtgesellschaftlichen Nutzen überwunden bzw. wenigstens massiv verringert wird. Die wirtschaftliche Rechnungsweise verabschiedet dann die gegenwärtig vorherrschenden Maximen „Gewinne privatisieren und Verluste der Gesellschaft aufbürden” sowie „Möglichst billig produzieren, dafür Natur, Umwelt und Gesundheit schädigen”. Wer diese Orientierung überwinden will, wird an der Vergesellschaftung von Betrieben bzw. an der Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln nicht vorbeikommen. In Bezug auf die Landwirtschaft betrifft das auch Unternehmen, die Profit mit der Verarbeitung der Agrarerzeugnisse machen (z. B. die Großschlachtereien und -molkereien). Ebenso die Betriebe, die ihre Geschäfte mit dem Saatgut oder den Maschinen für die konventionelle Landwirtschaft machen. All diese Kapitale agieren als Treiber und Verstärker einer durch und durch problematischen konventionellen Landwirtschaft.

Die Verfechter des bäuerlichen Privateigentums folgen der Glaubensüberzeugung „Nur zu meinem Eigentum bzw. zu meinem Stück Grund und Boden habe ich ein intensives und sorgfältiges Verhältnis”. Gewiss entsteht durch einen bloßen Eigentümerwechsel (Nationalisierung des Grund und Bodens) noch nicht notwendigerweise eine Mentalität, aus der heraus Arbeitende in öffentlichen Einrichtungen motiviert, qualifiziert und mit Einsatz „für die Sache” arbeiten. Dafür bedarf es objektiv einer anderen Organisation der Arbeit und eines anderen Stellenschlüssels. Aber es bedarf eben auch subjektiv einer Wertschätzung sinnvoller Arbeit, damit es nicht bei einem desinteressierten und unengagierten Verhältnis eines Verwalters zu einer ihm fremden Materie (hier: zum öffentlichen Eigentum) bleibt. Dass viele Lehrer in öffentlichen Schulen oder viele Beschäftigte in öffentlichen Krankenhäusern gute und empathische Arbeit leisten, zeigt: Dafür ist es keineswegs zwingend notwendig, dass jemand nur die eigenen Kinder unterrichtet, Arzt in der eigenen Privatpraxis ist oder ausschließlich seine eigenen Angehörigen pflegt.

Die Vergesellschaftung stellt „nur” die objektive Bedingung einer anstrebenswerten Wirtschaft dar, in der es den Anbietern auch subjektiv darum geht, für die Kunden sinnvolle Produkte in guter Qualität zu produzieren. „Sinnvoll” heißt auch: Der Anbieter begnügt sich nicht damit, dass er mit seinem Produkt oder seiner Dienstleistung irgendein Bedürfnis erfüllt. Bei Prostitution und Drogen ist der Unterschied zwischen problematischen und unproblematischen Bedürfnissen evident. Ein landwirtschaftliches Produkt ist dann sinnvoll, wenn seine Produktion nicht die natürlichen Lebensbedingungen der Bevölkerung schädigt und wenn sein Genuss der Gesundheit und dem Genuss zuträglich ist. (Zu den Problemen und Stärken des Begriffs „Sinn” bzw. „sinnvoll” in Bezug auf Arbeiten und Tätigkeiten vgl. Creydt 2021a.) Es existiert inzwischen eine Menge Wissen über die gesundheitlichen Vor- und Nachteile bestimmter Lebensmittel. Vielen ist zudem bewusst, dass z. B. das Bedürfnis nach fastfood häufig im Kontext von Zeitdruck und die Zeitknappheit steht, aber nicht etwas darstellt, mit dem jemand sich auf Dauer etwas Gutes gut.

Insgesamt geht es also darum, dass Arbeitende es nicht dabei bewenden lassen, sich ausschließlich für ihr Arbeitseinkommen und ihre Arbeitsbedingungen zu interessieren. Diejenigen, die ihre Arbeit nicht nur als Job auffassen, haben Vorbehalte dagegen, dass die Gebrauchswertinhalte der Produkte und Dienstleistungen davon abhängen, was profitabel und verkaufbar ist. Das Problem lässt sich nicht individuell lösen. Wer sich Gewissensbisse über seine Arbeit bzw. deren Produkte macht, kommt nur weiter, wenn er ein Bewusstsein gewinnt von den für sie maßgeblichen gesellschaftlichen Strukturen.

Anstrebenswerte Eigentums- und Besitzverhältnisse in der Landwirtschaft
Friedrich Engels plädierte 1894 dafür, gegenüber den kleineren Bauern für eine Landwirtschaft in Produktionsgenossenschaften auf freiwilliger Basis zu werben: „Unsere Aufgabe gegenüber dem Kleinbauer besteht zunächst darin, seinen Privatbetrieb und Privatbesitz in einen genossenschaftlichen überzuleiten, nicht mit Gewalt, sondern durch Beispiel und Darbietung von gesellschaftlicher Hilfe zu diesem Zweck. Und da haben wir allerdings Mittel genug, um dem Kleinbauer Vorteile in Aussicht zu stellen, die ihm schon jetzt einleuchten müssen.” Diese Vorteile betreffen nicht zuletzt, die Zusammenarbeit der Bauern im Unterschied zu ihrer gegenwärtigen Einzelkämpferexistenz.

Zur Zeit von Friedrich Engels gab es weder eine industrialisierte Landwirtschaft noch Subventionen für sie. Deren gegenwärtiger Umfang zeigt: Selbst eine konventionelle Landwirtschaft ist unter Bedingungen einer normalen Marktwirtschaft wirtschaftlich kaum existenzfähig. Eine Umstellung der Landwirtschaft auf biologischen Landbau würde die Preise der Agrarprodukte massiv erhöhen oder alternativ dazu weitere zusätzliche Subventionen nötig machen.

In der Landwirtschaft waren nach der Landwirtschaftszählung 2023 in Deutschland 876.000 Arbeitskräfte beschäftigt. Davon waren 398.000 als Familienarbeitskräfte tätig. Von den 478.000 familienfremden Arbeitskräften waren 243.000 Saisonarbeitskräfte, also 51 Prozent. (https://www.bmel.de/DE/themen/landwirtschaft/agrarsozialpolitik/saisonarbeitskraefte-landwirtschaft.html) Diese sind meist ausländischer Herkunft. Seit dem Jahr 2018 gibt die „Initiative Faire Landarbeit” regelmäßig den Jahresbericht zur Saisonarbeit in der Landwirtschaft heraus (https://igbau.de/Initiative-Faire-Landarbeit.html) Würden die Unternehmen nicht horrende Abgaben für beengte Unterkünfte häufig vom Lohn abziehen, würden sie Abgaben für die Sozialversicherung zahlen und wären die Arbeitsbedingungen nicht so schlecht, wie dieser Bericht es Jahr für Jahr dokumentiert, müsste die Landwirtschaft noch stärker subventioniert werden.

Die deutschen Bauern beziehen einen hohen Anteil ihres Arbeitsentgelts aus öffentlichen Kassen. Im Wirtschaftsjahr 2021/22 macht die staatliche Förderung durchschnittlich 45 Prozent des Betriebseinkommens aus (https://www.iwd.de/artikel/agrarpolitik-wie-stark-deutsche-bauern-subventioniert-werden-610263/)

Das Vorgehen der konventionellen Landwirtschaft ist geradezu ein Musterbeispiel dafür, wie system(at)isch negative „Neben”wirkungen hervorgebracht und billigend in Kauf genommen werden. Sie erweisen sich ökologisch und gesundheitlich als sehr kostspielig. Falls überhaupt eine Beseitigung bzw. Kompensation dieser Schäden stattfindet, kommen finanziell nicht diejenigen dafür auf, die mit Agrarprodukten Profit machen. Angesichts des Umstands, dass die öffentlichen Kassen bereits die Kosten für die Beseitigung der Folgeschäden der konventionellen Landwirtschaft übernehmen und in Anbetracht der Tatsache, dass sie diese Landwirtschaft stark subventionieren, muss man sich ehrlich machen.

Insofern die Landwirtschaft sich ohnehin nur unter Voraussetzung massiver Subventionen rechnen kann, ist ihr eine andere Eigentums- und Besitzform zu geben. Die landwirtschaftlichen Betriebe würden dann zu Anstalten des öffentlichen Rechts und die Bauern zu Angestellten im (erweitert verstandenen) öffentlichen Dienst. Gewiss sind in ihm Veränderungen erforderlich, um Bürokratismus und Dienst nach Vorschrift zu überwinden. Der Schimmel soll nur auf der Weide wiehern und nicht im Amt. Trotz aller Mängel des bestehenden öffentlichen Dienstes ist eine Mehrheit der Bevölkerung erfreulicherweise der Auffassung, die Politik solle eher öffentliche Kliniken und Schulen fördern als Privatkliniken und Privatschulen. Da fehlt „nur” noch das Votum dafür, die Landwirtschaft in den öffentlichen Dienst einzugliedern.

Literatur:
Creydt, Meinhard 2021: Deglobalisierung – Zeitdiagnose und Perspektive. In: Telepolis 4. 4. 2021
http://www.meinhard-creydt.de/archives/1076
Creydt, Meinhard 2021a: Sinnvolle Existenz als Maßstab des eigenen Lebens und der Gesellschaft. In: Telepolis 13.6.2021 http://www.meinhard-creydt.de/archives/1230
Dargel, Wenke 2024: Landwirtschaft im Kapitalismus: Weder ökologisch noch rentabel. In: Neues Deutschland 24.5.2024
Ehlers, Jürgen 2024: Landwirtschaft: Das große Fressen. In: Marx21 5.7.2024
Engels, Friedrich 1963: Die Bauernfrage in Frankreich und Deutschland (1894). In: Marx-Engels-Werke, Bd. 22. Berlin-DDR
Informationsportal Ökolandbau 2023: Warum sind Bio-Lebensmittel teurer?
Lehmann, Norbert 2023: Marktmacht des Einzelhandels – Teure Lebensmittel. In: Agrar heute, 21.3. 2023
Tocqueville, Alexis de 1987: Über die Demokratie in Amerika. Zürich

PS:
Die „Junge Welt” hat diesen Text unter der Überschrift „Der verstaatlichte Bauer” veröffentlicht. Im Gegensatz zum Inhalt des Artikels weist diese Formulierung eine Nähe sowohl zu der Klage von Verfechtern einer reinen Marktwirtschaft über Subventionen als auch zu den Beschwerden gegen „zu viel Reglementierung” auf. Der Artikel plädiert dafür, das Agrarwesen in einen reformierten öffentlichen Dienst aufzunehmen. Er knüpft an der begrüßenswerten Tatsache an, dass Teile der Bevölkerung für öffentliche statt private Krankenhäuser bzw. Schulen eintreten. Sie haben positive Vorstellungen von öffentlichen Diensten und Gemeingütern. Im Gegensatz dazu steht die Formulierung „Der verstaatlichte Bauer” für den Widerwillen gegen die „Kollektivierung”.