Zur Kritik der „gewerkschaftlichen Orientierung“ als studentisches Politikkonzept

von Meinhard Creydt

Simon Zeise, Bundesgeschäftsführer des Linkspartei-nahen Studentenverbandes mit dem ansprüchelnden Namen SDS, plädiert für die „gewerkschaftliche Orientierung“ und bezieht sich positiv auf das gleichnamige Konzept der DKPnahen Studentenorganisationen MSB (Marxistischer Studentenbund Spartakus) und SHB (Sozialistischer Hochschulbund) in den 1970er und 1980er Jahren. Zeise meint, „das Studierende mit den gleichen Problemen wie die Masse der Lohnabhängigen konfrontiert sind“ (Simon Zeise: Politik für die Mehrheit. In: Z – Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Nr. 94, 24. Jg. 2013, S. 119).

Eine noch heute lesenswerte Auseinandersetzung mit dem Konzept „gewerkschaftliche Orientierung“ ist von der Gruppe Rheinische Zeitung unter der Überschrift „Studentische Interessenvertretung – Opportunismus als Orientierung“ als Flugschrift (Circular 4) 1976 auf vier Din-A-3-Seiten vorgelegt worden. Die Gruppe Rheinische Zeitung bestand damals aus den Institutsgruppen Bonn, der Sozialistische Hochschulorganisation Münster und der Sozialistischen Hochschulgruppe Duisburg. Die Verfasser arbeiten am Ende ihres Textes grundlegende Mängel der für die damalige DKP-Politik charakteristischen Herangehensweise heraus, die über das unmittelbare Thema Studentenpolitik à la „gewerkschaftliche Orientierung“ hinausgehen und ihr zugrunde liegen. Die konzeptionellen trojanischen Pferde dieser Politik sind auch von vielen heute agierenden Linken weder begriffen noch überwunden worden. Der GRZ-Text ist unten mit geringfügigen Kürzungen – (…) – dokumentiert.

Die im GRZ-Text angesprochenen Themen der Wissenschafts- und Demokratiekritik werden auf dieser Netzseite www.meinhard-creydt.de vertieft in den Artikeln:

Die Abkürzung VDS steht für den Verband Deutscher Studentenschaften, ab 1975: Vereinigte Deutsche Studentenschaften. Der VDS war von 1949 bis 1990 die studentische Interessenvertretung der damaligen Bundesrepublik und West-Berlins.

DOKUMENTATION

Circular 4
GRUPPE RHEINISCHE ZEITUNG November 1976

VDS: Studentische Interessenvertretung
OPPORTUNISMUS ALS ORIENTIERUNG

(… )

Die Studentenbewegung hat die prinzipielle Kritik kapitalistischer Gesellschaft virulent werden lassen, die schon verschüttet schien. Eine ganze Reihe von sozialistischen Organisationen spross aus dem Boden, zumeist der Hochschule. Nahezu alle diese Organisationen (…) haben heute den gemeinsamen Nenner ihrer Hochschulpolitik in der
Vertretung studentischer Interessen. Als exemplarisch hierfür gelten uns die in den VDS vertretenen sozialistischen Organisationen, (…), und die von ihnen in den VDS propagierte Politik.

Was sie in den VDS wollen, sagen diese Gruppen selbst: „Die Politik des Verbandes hat sich stets als Teilstrategie zu begreifen, die sich auf die Kämpfe der Arbeiterklasse bezieht…“ (1/S. 15) Und diese Strategie greift über den Kapitalismus hinaus, (… insofern – Creydt) „eine generelle Lösung der sozialen Probleme und des Bildungsnotstandes im Kapitalismus unmöglich ist.“ (1/S.18) „Bloße Reformen können den Hauptwiderspruch der kapitalistischen Gesellschaft … nicht . auflösen.“ 1/S.2) Der Zweck ihrer Tätigkeit in den VDS ( und auch in allen anderen Organen der Verfassten Studentenschaft) ist also sozialistische Politik, die den Kapitalismus zur Behebung seiner Widersprüche prinzipiell umformen will.

VOM „ANTIKAPITALISTISCHEN INTERESSE“ DER STUDENTEN …

Das geeignete Mittel, die Studenten auf diesen Zweck hin zu mobilisieren und zu politisieren, ist den VDS die ‚konsequente? Vertretung der studentischen Interessen: ?„Die VDS treten gemeinsam für die Interessen der Studenten in Hochschule und Gesellschaft ein.“ (2) Die Durchsetzung der studentischen Interessen besteht in entsprechenden Reformen: „Dabei hat die Auseinandersetzung um Reformen eine Funktion der Politisierung, indem sie die Möglichkeit eröffnet, die gesellschaftlichen Widersprüche aufzuzeigen.“ (1/S.2) „Zur Wahrnehmung ihrer Interessen und zur Durchsetzung sozialer Verbesserungen gegen die Macht des Kapitals müssen sich die abhängig Beschäftigten und Benachteiligten organisieren.“ (2) Das heißt: Die Interessen der Studenten sind per se antikapitalistisch; nicht nur das: alle „abhängig Beschäftigten und Benachteiligten“ (unter letztere Kategorie fallen offenbar die Studenten) stehen der „Macht des Kapitals“ gegenüber. Nehmen wir diese Behauptung vorerst hin: die „Macht“ ist schwer zu lokalisieren!

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… ZUM „BÜNDNIS“ MIT DER ARBEITERKLASSE

Die unterstellte gemeinsame Gegnerschaft gibt aber nicht ohne weiteres einen Grund ab, auch den Kampf gemeinsam zu führen. Wenn die VDS also das „Bündnis mit der Arbeiterklasse“ so eifrig propagieren, so fehlt dazu bis jetzt die Begründung, wieso überhaupt die Studentenschaft nicht alleine ihres kämpferischen Weges gehen solle, und vor allem, warum gerade die Arbeiterklasse ausgewählt wird und nicht die Rentner oder die Einheitsfront aller Mühseligen und Beladenen. Es ist dies zunächst auch gar kein Problem von „Solidarität“ (1, S.16), wie es an anderer Stelle scheint. Das fühlen auch die VDS bzw. die in ihnen vertretenen sozialistischen Organisationen. So preisen sie vielmehr die Arbeiterklasse als das geeignete und notwendige I n s t r u m e n t an, den studentischen Interessen Nachdruck zu verleihen: „Die Studenten sind aufgrund ihrer Schwäche innerhalb des Klassengefüges allem nicht in der Lage, entscheidende bildungs-, sozial- und wirtschaftspolitische Verbesserungen zu erkämpfen. Sie sind auf das Bündnis mit der arbeitenden Bevölkerung angewiesen.“ (1/ S. 4)

DIE „GEMEINSAMEN INTERESSEN“ ….

Nun ist aber auch klar, daß die Arbeiterklasse ganz schön dumm wäre, ließe sie sich für Interessen einspannen, die nicht die ihren sind, möglicherweise für ganz entgegengesetzte. Aber gottlob, welch Fügung des Schicksals, das ist nicht der Fall: „Studentische und arbeitende Bevölkerung verbindet das Interesse an einer Reform des Bildungswesens, an angemessenen Arbeitsplätzen und der Brechung des Bildungsprivilegs.“ (1/ S.4) Eine ganze Menge also, so ziemlich alles, was die Studenten bedrückt, und noch mehr.

Was zunächst auffällt, ist, daß hier eine doppelte Begründung vorliegt für das Zusammengehen von Studenten und Arbeitern. Das eine Mal werden die Arbeiter durchaus eigennützig für die Durchsetzung der sozial etwas schwachbrüstigen Studenten instrumentalisiert. Diese Funktionalisierung der Arbeiterklasse steht aber im Widerspruch dazu, daß beide ohnedies die gleichen Interessen haben. Ihr Zusammengehen macht sich so gesehen praktisch von selbst, wenn sie nur ihre jeweils gleichen Interessen richtig vertreten; das „Bündnis“ (dazu später): ist dann gar keine zusätzliche Bestimmung studentischer Interessenvertretung, sondern stellt sich in deren Vollzug praktisch her.

Daß die vorgebliche Instrumentalisierbarkeit der Arbeiterklasse als zusätzliches Argument herangezogen wird, zeigt, daß den VDS bei der Interessenidentität von Studenten und Arbeitern selbst so wohl nicht. Zurecht. Sehen wir uns diese „gemeinsamen Interessen“ etwas näher an.

…. SIND INTERESSIERTE ABSTRAKTIONEN

– Da ist erstens das Interesse an einer Reform des Bildungswesens. Nun muß man nicht in Abrede stellen, daß eine Bildungsreform für die Arbeiter nützlich sein kann; die Frage ist nur, welche. Die Arbeiter sind interessiert an der Reform der Berufsausbildung; diese Reform aber kostet Geld, das nötig wäre für weitere Hochschulreformversuche, BAFÖG, Hochschulausbau etc., woran die Studenten interessiert sind; während die Arbeiter wiederum kein Interesse aufbringen mögen für die besondere Qualifikation ihrer wissenschaftlich gebildeten Aufpasser und dafür, daß noch mehr Studierte ihnen auf dem unakademischen Arbeitsmarkt die ohnedies zu knappen Stellen wegschnappen! Was also in der Abstraktion „Bildungsreform“ zusammengewürfelt ist, sind nicht nur selbst unterschiedliche Interessen; diese stehen an bestimmten Punkten (v.a. der Finanzierung) sogar in Gegensatz.

– Noch schlimmer ist das mit den „angemessenen Arbeitsplätzen“. Angemessen für wen? Wieso sollten die Studenten ein Interesse an angemessennen Arbeitsplätzen für die Arbeiter haben, denen sie doch, per „Verdrängungseffekt“ nach unten, als überzählige Akademiker auf dem Arbeitsmarkt die Stellen wegen ihrer besseren Qualifikation wegnehmen? Wieso sollten sich umgekehrt die Arbeiter für die „angemessene“ Versorgung ihrer Konkurrenz stark machen? Zwar wird durch die stellungsuchenden Akademiker und Abiturienten die Arbeitslosenzahl nicht absolut erhöht. Da aber die besser ausgebildeten viel leichter eingestellt werden, verschärft sich der Konkurrenzdruck für die schlechter ausgebildeten Arbeiter ganz erheblich. Diese Gegensätze werden durch die Formel „Arbeitsplatz“ einfach unter den Tisch des „gemeinsamen Interesses“ gekehrt.

– Und wieso letztlich die Studenten ein Interesse an der Brechung des Bildungsprivilegs haben sollten, das ist schon gar nicht einsichtig. Sollen sie ihrerseits sich noch mehr Konkurrenz auf den Hals laden; was geht es sie an, wer nach ihnen studiert, sie haben ihren Studienplatz. (…)

NUR ANTIKAPITALISTISCHE INTERESSEN SIND ANTIKAPITALISTISCH !

Halt! – rufen da die VDS-Sozialisten – so ist das ja auch nicht gemeint.
„Studentische Interessen bieten dann Ansatzpunkte für die Arbeit des Verbandes, wenn sie nicht auf die Fixierung von Privilegien zielen, sondern sich gegen spezifische kapitalistische Formbestimmtheit des Ausbildungsbereichs . . . . richten.“ (1/S.15f.) Das einfache Interesse „führt aber nicht zwangsläufig zu einer Solidarisierung mit der Arbeiterklasse.“ Es besteht sogar „die Gefahr, daß Teile der Studenten verstärkt um ständische Privilegien kämpfen.“ (1/S.16) Ach so ist das! Es gibt also solche und solche: Nur die antikapitalistischen Interessen der Studenten sind antikapitalistisch! W i e die Interessen zu vertreten sind – antikapitalistisch, fortschrittlich, nichtständisch etc., – das ergibt sich gar nicht aus ihnen selbst. Es ist also endgültig nichts mit der Interessenidentität von Studenten und Arbeiterklasse.

Damit aber geraten die VDS in unmittelbaren Widerspruch zur Begründung ihrer Politik der gewerkschaftlichen Orientierung. Sollte dieses Konzept sozialistischer Politik sich doch notwendig aus der Beschaffenheit „der“ studentischen Interessen ergeben. Zur Erinnerung: „Die VDS treten gemeinsam für die Interessen der Studenten in Hochschule und Gesellschaft ein. Dies bedeutet notwendig eine klare politische Absage an reaktionäre und ständische Politik.“ (2)

WAS NICHT IST, KANN NOCH WERDEN !

Aber solchen Kummer sind unsere Sozialisten gewöhnt; was nicht ist, das kann noch werden! Ist ihnen so der Grund für ihre bestimmte Politik entzogen, wird das, was eben noch Begründung war, flugs zur Aufgabe proklamiert: „Hier müssen auch die Verfaßten Studentenschaften zur Durchsetzung fortschrittlicher Positionen beitragen.“ (1/S.16) Die VDS wollen „den Kämpfen eine einheitliche, wirksame politische Stoßrichtung geben“ (1/S.1) – die sie also nicht haben – , „die studentische Basis mobilisieren“ (1/S.2) und eine „Po-

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litisierung“ in Gang setzen. Und anderswo fällt?s ganz auseinander: ?“Ansatzpunkt einer derartigen politischen Praxis muß die Tatsache sein, daß die kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung sich gegen die Masse der arbeitenden Bevölkerung richtet.“ (1/S.3)

ETIKETTENSCHWINDEL

Der Ansatzpunkt einer derartigen politischen Praxis sind also nicht „die studentischen Interessen“, sondern es ist die „arbeitende Bevölkerung“! Überrascht davon kann eigentlich nur der sein, der über den vergeblichen Bemühungen der VDS, sich von den studentischen Interessen ins Proletariat tragen zu lassen, deren Zweck vergessen hat, sozialistische Politik. Denn daß diese etwas mit den Arbeitern zu tun hat, ist allgemein bekannt.

Als Grund für das vielgerühmte „Bündnis“ der Studenten mit der Arbeiterklasse hat sich also nicht das studentische Interesse erwiesen – dem ist das Etikett „antikapitalistisch“ nur aufgepappt, wie wir gesehen‚ haben – sondern der vorausgehende— Zweck sozialistischer Politik: die positive Beziehung auf das Proletariat als das Subjekt der gesellschaftlichen Umwälzung. Daß Sozialisten für ihre Tätigkeit diesen Zweck voraussetzen, ist selbstverständlich. Das Problem der hier betrachteten Politik ist allerdings, daß den Studenten dieser Zweck schmackhaft gemacht werden soll, indem er ihren Interessen, die für sie die Voraussetzung darstellen, unterschoben wird. Was dem zugrundeliegt, ist politischer. Opportunismus nach dem Motto: Wasch die Studenten, aber mach sie nicht naß! Sie sollen bloß werden, was sie schon sind, nur ein bißchen aktiver, und vor allem über die Vermittlung unserer VDS-Sozialisten (damit die Richtung stimmt!), die so gar nicht merken, daß sie sich in ihrer Begründung selbst für überflüssig erklärt haben.

TRICK 17 – DAS „BÜNDNIS“

Um die Studenten so auf den richtigen Pfad zu locken, gaukelt man ihnen vor, die Arbeiterklasse ließe sich für ihre Interessen benützen, während man – Trick 17 – genau das Umgekehrte erreichen will: „Ansatzpunkt einer derartigen politischen Praxis …“ (s.o.) und „Ziel der Politik des Verbandes ist es, die politische Grundlage dafür zu schaffen, daß möglichst große Teile der Studenten auch im späteren Beruf die Kämpfe der Arbeiterklasse solidarisch unterstützen.“ (1/ 5.16) – Was hat das mit der Realisierung s t u d e n t i s c h e r Interessen zu tun? Ebenso ist das Gesetzespaket zur „inneren Sicherheit“ für die VDS deshalb ein Stein des Anstoßes, weil seine Funktion „unter anderem darin (liegt), potentielle Bündnispartner der Arbeiterklasse“ (nicht der Studenten!) „einzuschüchtern und damit von einem Bündnis mit der Arbeiterklasse abzuhalten. Besonders hervorgehoben werden müssen dabei die Berufsverbote als Methode der Einschüchterung demokratischer (!) Studenten.“ (1/ S.1f.) .

Verlaufsform dieser widersprüchlichen Beziehung auf die Arbeiterklasse ist eben das „Bündnis“, doch – wie schon oben gezeigt – widerspricht dieses Bündnis von Studenten und Arbeitern sowohl seiner eigenen Begründung (Bündnis als das Festhalten des Interessengegensatzes im nur partiellen und instrumentellen Bezug auf den jeweils anderen – gegenüber der Interessenidentität) wie auch – in der gleichen Weise – der Beziehung von Sozialisten auf die Arbeiterklasse. Die machen sich, statt der Fixierung ihrer Privatinteressen, die allgemeine Bestimmung des Proletariats zur eigenen und beziehen sich auf die Arbeiter auf Basis dieses identischen Ziels: Umwälzung kapitalistischer Gesellschaft.

WAS HABEN „DIE STUDENTEN“ MIT DEM KAPITAL AM HUT ?

So bleibt bis jetzt als Rest der Interessenstrategie an der Hochschule die vermeintliche gemeinsame Gegnerschaft gegen das Kapital. Wie steht es damit?

Studenten haben es als Studenten, das heißt, solange sie in der Ausbildung erst gesellschaftlich brauchbar gemacht werden, mit dem Staat zu tun. Dessen Aufgabe ist es u.a., Wissenschaft als eine allgemeine Bedingung der kapitalistischen Produktion und Reproduktion zu organisieren. Gerade der Allgemeinheit von Wissenschaft ist es so zu verdanken, daß sie ein vom Staat abgeschattetes Plätzchen außerhalb des normalen gesellschaftlichen Geschäftsbetriebs erhält, dem sie gleichwohl in Forschung und Lehre funktional verpflichtet bleibt: Sie produziert Wissen in Büchern und Köpfen für diese Gesellschaft.

EIN ABGESCHATTETES PLÄTZCHEN

Die Studenten haben also, was die materielle Seite ihres Daseins betrifft, gar nichts mit der gesellschaftlichen Klassenauseinandersetzung zu schaffen; weder sind sie im Produktionsprozeß oder im Rausschmiß als Arbeitslose dem Diktat des Kapitals unterworfen, so daß sich ein Gegensatz der Interessen erfahren ließe; noch sind sie mit dem Kapital in der Verteilungkonkurrenz konfrontiert, in der sich die gesellschaftlichen Klassen um ihren jeweiligen Anteil am Sozialprodukt streiten (vgl. die Tarifauseinandersetzung).

DAS „ANTIKAPITALISTISCHE INTERESSE“ IST INTERESSENFEINDLICH

Der einzige direkte Zusammenhang zur gesellschaftlichen Reproduktion, der die Studenten überhaupt betrifft, ist ihr inhaltliches Interesse an einer Ausbildung, die sie für das spätere Berufsleben qualifiziert. Die Anforderungen, auf die sich ein solches Interesse positiv bezieht, sind aber in der kapitalistischen Entwicklung der Produktion selbst gesetzt und für das Kapital funktional; kein Gramm Antikapitalismus läßt sich daran auffinden. Umgekehrt ist die gewerkschaftlich-orientierte Forderung nach demokratischer Berufsausbildung „im Interesse der arbeitenden Bevölkerung“ (3) für die Studenten interessenfeindlich, sofern sie deren Funktionalität für den kapitalistischen Produktionsprozeß, für ihren Beruf als Polizist, Lehrer etc. gefährdet und sie damit brotlos zu machen droht. Daß das Geltendmachen studentischer Interessen gegenüber dem bürgerlichen Staat auch nicht vermittelt einen Gegensatz gegen das Kapital ausdrückt, geht aus einigen bemerkenswert richtigen Ausführungen der VDS selbst zum Staat hervor: Aufgabe des Staates ist es, die allgemeinen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der kapitalistischen Produktionsweise zu treffen. Das heißt „z.B. durch …. „Lohnverzicht … die Verwertungsbedingungen des Kapitals zu verbessern. … Der Staat muß sich also den im Kapitalismus unvermeidlichen ökonomischen Zwängen unterordnen.” (1/S. 1)

Wenn also der Staat in Krisenzeiten Bildungsaufgaben vernachlässigt, so liegt das selbst in der Logik unserer gesellschaftlichen Verhältnisse. Der Staat ist Klassenstaat, gerade indem er das „Allgemeinwohl“ realisiert. Daß das Allgemeinwohl hinwiederum – per Bindung an das Privateigentum – auf der Wohlfahrt des Kapitals basiert, nun, das ist erst einmal akzeptierte und legitimierte Gegebenheit.

DIE STAATSTREUEN STUDENTEN

Diese objektive Bindung an den Staat erklärt auch die historische Tendenz, daß in Zeiten offen ausgetragener Klassenkämpfe, in denen der kapitalistische Staat gerade in der Wahrung seiner allgemeinen Funktion seine scheinbare Neutralität aufgibt und mit offener Gewalt gegen die rebellierende Arbeiterklasse vorgeht, viele Studenten sich auf die Seite des Staates schlagen und sich gegen die Arbeiter stellen.

Es ist also nicht bloß subjektives Unvermögen unserer VDS-Sozialisten, daß sie ihr Konzept von Hochschulpolitik, die Interessenvertretung der Studenten, nicht aus der Objektivität eben dieser Interessen herleiten könnten; das kann auch nicht gelingen. Die Artikulation studentischer Interessen an den Staat bedeutet zugleich immer Bestätigung der dafür vorausgesetzten Staatsfunktionen, ist also notwendig affirmativ zur bestehenden Gesellschaft.

DER „GEWERKSCHAFTLICHE“ OPPORTUNISMUS DER VDS

Damit erweist sich die Interessenvertretung an der Hochschule prinzipiell als ein für sozialistische Politik höchst unzweckmäßiges Mittel. Es bringt entweder bloß Leute auf die Beine, die den Sozialismus im Herzen und im Kopf die bürgerlichen Illusionen tragen, oder andere, die sich um ihre Interessen kümmern, ob ständisch oder nicht, und für die der proletarische touch mehr oder weniger willkommener Klimbim ist.

Sozialistische Politik an der Hochschule bedeutet das G e g e n t e i l von Interessenvertretung. Während die Strategie der gewerkschaftlichen Orientierung aus den Studenten allenfalls eingebildete Sozialisten macht (bürgerliche Intellektuelle + Proletophilie), erfordert sozialistische Politik für Intellektuelle gerade den Bruch mit dem individuellen Interesse und mit der Perspektive des kapitalistischen Kopfarbeiters. Nicht um Sympathie oder „Bündnis“ mit der Arbeiterklasse geht es, sondern darum, sich deren Aufgabe zur eigenen zu machen – gerade gegen das Interesse.

In der bürgerlichen Gesellschaft ist Wissenschaft funktional für das Kapital bzw. für die Reproduktion dieser Gesellschaft; daraus ergibt sich ihre Falschheit. Sozialistische Politik erfordert es gerade,

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die Wissenschaft aus dieser Funktionalität zu lösen und gegen diese Gesellschaft selbst zu richten; sie ist als Wissenschaftlicher Sozialismus die Erkenntnis dieser Gesellschaft, die es zu erarbeiten gilt (…).

DAS VDS-KONZEPT: BÜRGERLICHE WISSENSCHAFT + PROLETOPHILIE

(…) Der Mangel der Studentenbewegung lag in der Fixierung ihres Intellektuellencharakters (…). Die Beziehung der Studenten auf das Proletariat geriet zur Projektion der eigenen Schwäche und des Zerfallens der Studentenbewegung: Man stellt sich an die Seite des großen Bruders und tut es ihm gleich. Es muß so nicht verwundern, daß man sich einfacherweise auf das stürzte, was vorhanden war, und ein Konzept, das dem Kampf der Arbeiterklasse entspricht, per Analogie auf den völlig unterschiedenen Bereich der wissenschaftlichen Ausbildung übertrug: den gewerkschaftlichen Kampf als ein Mittel sozialistischer Politik.

Man hat gesehen, welch willkürliche Interpretationen dieser Politik zugrundeliegen. Sie kommt der Situation der Studenten entgegen, und das ist der Hauptgrund, weshalb sie so eifrig verfochten wird. Aber gerade diese Anbiederung an das vorhandene bürgerliche Bewußtsein, der prinzipielle Opportunismus der gewerkschaftlichen Orientierung ist es, was sozialistische Politik denunziert. Sie schadet ihr nach allen Seiten (und nicht nur ihren Vertretern, sondern allen Kommunisten), indem sie ihr kommunistisches Ziel mit den Mitteln und Kniffen bürgerlicher Politik verkauft.

WIE KOMMUNISTISCHE POLITIK „VERKAUFT“ WIRD

Die Selbststilisierung der Kommunisten als demokratischste aller Demokraten kann nichts hervorbringen als die Fixierung des vorhandenen demokratischen Bewußtseins. Der Schwur von DKP und MSB auf das Grundgesetz treibt so groteske Blüten hervor, daß sie so noch ihr eigenes Verbot als demokratische Großtat bejubeln müßten, wenn es nur verfassungskonform durch das BVG (Bundesverfassungsgericht) verkündet würde – wieviel mehr beklatscht man das staatliche Vorgehen gegen die lästige linke „Konkurrenz“.

Der Versuch, etwa in der Hochschulpolitik den Studenten zu suggerieren, sie bräuchten nur zu sein, was sie ohnedies sind; als wahrhafte Demokraten seien sie ja schon Sozialisten, wie umgekehrt die Sozialisten die genuinen Verteidiger der bürgerlichen Rechte – solche Politik ist bloße Unterwerfung unter die demokratischen Vorurteile; sie stärkt die affirmative Beziehung der Studenten auf den bürgerlichen Staat und die Verkehrsformen der kapitalistischen Gesellschaft überhaupt; sie legt sich und sozialistischer Politik allgemein Ketten an gerade für den Punkt, an dem es zur Sache geht. Die von MSB etc. demokratisierten Demokraten machen genau dann nicht mehr mit, wenn sozialistische Politik die demokratischen Grenzen sprengt, wenn der politische Kampf prinzipiell geführt werden muß.

Es ist leicht, an der Spitze „der Bewegung“ zu marschieren, wenn es gleichgültig ist, was sich bewegt; wenn man nichts tut, als den unzufriedenen Bürgern voranzuhoppeln; die Bewegung, die so „angeführt“ wird, ist genuin bürgerlich, ist demokratische Opposition (bestätigt etwa den bürgerlichen Staat, indem sie von ihm verlangt, er solle alles besser machen)! Verräterisch in den Erfolgsmeldungen der GOler ist das Hochjubeln der ganz qualitätslosen „Massen“, reine Quantität, die hinter den Transparenten mit der brandrevolutionären Parole „Mehr BaföG“ herlaufen, und die mit deren roter Farbe soviel zu tun haben wie die Jungfrau mit dem Kind.

DOPPELZÜNGIGKEIT UND KRYPTOMANIE

Na klar, sagen die Genossen dann am Biertisch, so wörtlich muß man das ja nicht nehmen. Nur, versteht ihr, in der Öffentlichkeit ist das halt etwas anderes. Legalistische Taktik und so.

Eine „Taktik“, die dem revolutionären Ziel dieser sozialistische Politik diametral entgegensteht, befördert nicht, sondern verhindert die strategische Durchsetzung diese Ziels. Die Genossen von DKP, MSB etc. wollen das eine und sagen das andere. Über ihre eigene Bewußtlosigkeit scheinen sie erhaben: das ist doch bloß für die Massen; oder bloß zur Absicherung.

Die K r y p t o m a n i e dieser Politik, die sich in Doppelzüngigkeit und frommen Sprüchen ebenso äussert wie, z.B. in der Gewerkschaft, in Koalitionen mit der sozialdemagogischen Gewerkschaftsführung gegen die weiter entwickelte Basis, macht nicht nur sich selbst, sondern sozialistische Politik überhaupt unglaubwürdig, bringt sie um jeden Kredit und würdigt die Ernsthaftigkeit der prinzipiellen Kritik der Kommunisten zum Spektakel demokratischer Kreuzzüge herab. Was wirkt, was sich in der Gesellschaft als Urteil oder Vorurteil über kommunistische Politik, als Aufbrechen oder Bestätigung bürgerlichen Bewußtseins niederschlägt, ist das, was die Kommunisten tun, ist ihre Praxis, und nicht das begleitende „ich denke mir schon was dabei“! Der revolutionäre Anspruch (…) ist dann nicht mehr als die Rationalierung einer zweckwidrigen Praxis, die gegen Kritik immunisiert.

DIE GAR NICHT SO KOMMUNISTISCHEN KOMMUNISTEN

Am deutlichsten wird diese Kryptomanie im Verhältnis der GO-Kommunisten zum hierzulande – NATO-Speerspitze gegen den roten Osten – herrschenden Antikommunismus. Statt offen darzutun, wes Geistes, welcher Moral Kind dieser Antikommunismus ist, geht man aus dem Felde. Statt den Kommunismus als die begründete und notwendige Kritik der kapitalistischen Gesellschaft zu propagieren, versucht man sein E r s c h e i n u n g s b i l d auf bürgerlich proper zu retuschieren. Dies das „defensive“ Moment der Anbiederung an die bürgerliche Welt. Dadurch aber, daß man möglichst vergessen macht, daß Kommunisten kommunistische Politik machen, bestätigt man den Antikommunismus auf gefährliche Weise. Selbst wenn die Studenten und andere wirklich glaubten, daß MSB etc. eigentlich nichts anderes wollen als das „seid nett zueinander“: an dem Punkt, wo kommunistische Politik über Nettigkeiten hinauszugehen hat (wo es sich etwa um die Frage der revolutionären Gewalt der Arbeiterklasse gegen das Kapital (…) handelt), wird sich herausstellen, daß man die soeben bloß hintergangene Schranke kommunistischer Politik zementiert hat.

DER KOMMUNISTISCHE ANTIKOMMUNISMUS

Besonders kraß tritt die positive Beziehung auf den Antikommunismus hervor, wo dies bürgerliche Vorurteil zur Waffe gegen die Kritik durch Kommunisten umgegossen wird. Indem man die eigene Position, Organisation, Person zur Fleischwerdung der kommunistischen Idee ex cathedra erhebt, wird alle noch so offensichtlich berechtigte Kritik an den schreiendsten Widersprüchen und Fehlern zur antikommunistischen Hetze gestempelt. Die Hypostasierung der Unfehlbarkeit der Partei dient bloß zur Immunisierung gegen Kritik. Daraus erklärt sich auch die blinde Affirmation aller Fehler in den sozialistischen Ländern, eines der größten Hindernisse hierzulande für die Glaubwürdigkeit kommunistischer Politik. (vgl. hierzu und zum Fall Biermann: circular 3)

Auf diesem Boden gedeiht auch die praktische Denunziation der lästigen linken „Konkurrenz“. (…) Zur Selbststilisierung als die „braven“ Kommunisten (mit allen vieren auf dem Boden des Grundgesetzes) gehört logisch, daß man den anderen Sozialisten als den bösen Extremisten Gewerkschaftsausschlüsse und Berufsverbote besorgt (so etwa ein MSB-Mitglied des Bonner „Komitees gegen Berufsverbote“: Leute, die nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stünden, werde man bei Berufsverbotsfällen nicht unterstützen!), daß man ihnen den bürgerlichen Staat auf den Hals hetzt (vgl.die seinerzeitige Denunziation von KPD/KSV als Anarchisten (…)). Sind sie Antikommunisten, so geschieht ihnen auch gerade recht!

Wir sehen, die Politik der gewerkschaftlichen Orientierung ist nicht bloß ein Problem der Gruppen, die sie vertreten. Opportunistische Politik von Sozialisten behindert die Arbeit für kommunistische Politik überhaupt, indem sie die Schranken, die es mühsam zu überwinden gilt, durch ihre bequemliche Anpassung festigt, indem sie allen Kommunisten den Boden der Glaubwürdigkeit und Ernsthaftigkeit entzieht und so die antikommunistischen Vorurteile bestätigt, statt sie zu widerlegen.

Zitate:

(1) Hauptresolution und Arbeitsprogramm 1976 der vds

(2) Erklärung der vds zu den Grundrechten. Beschluß der Gründungsversammlung der vds vom Mai 1975, in: (1)

(3) Aufruf zu den vds-Aktionstagen, in: vds-press, Nov. 1976