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Meinhard Creydt zeigt, wie der Kapitalismus unnötig werden könnte

Neues Deutschland 11.3.2015 Beilage zur Leipziger Buchmesse, S. 15

Meinhard Creydt :
Wie der Kapitalismus unnötig werden kann.
Westfälisches Dampfboot. Münster
419 S., br., 29,90,-

Die Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008/09 hat zwar nicht den Kapitalismus in Frage gestellt. Aber sehr wohl in den Zentren dieser Produktionsweise für rege Debatten gesorgt. Selbst bislang Konservative wie der Thatcher-Biograf Charles Moore oder der verstorbene Herausgeber der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«, Frank Schirrmacher, mussten ihr Weltbild korrigieren und fingen an zu glauben, dass die Linke möglicherweise doch recht habe. Schade nur, dass es dieser kaum genutzt hat. Zwar ist die neoliberale Ideologie ein wenig angekratzt, mitunter wurde auch eine etwas sozialere Sozial- und Wirtschaftspolitik initiiert. Doch weder die Umverteilung zulasten der lohnabhängigen Klassen noch die strukturelle Überakkumulation von (Finanz)Kapital wurde beendet. Und ob Syriza in Griechenland das Ruder herumreißen kann – es scheint fraglich.

Eine Ursache für die Schwäche der Linken liegt auf der Hand: Der kapitalismuskritischen Linken fehlt es angesichts des Scheiterns des sowjetischen Weges an einem positiven Beispiel eines funktionierenden demokratischen Sozialismusmodells, ja es fehlt an überzeugenden Modellen, wie eine nachkapitalistische Gesellschaft überhaupt aussehen könnte. Begriffe wie Solidarische Ökonomie oder Postwachstumsgesellschaft versuchen, dieses Vakuum zu füllen. Aber es gibt auch in der marxistischen Tradition stehende Autoren, die in ihren nach 2008 erschienenen Büchern über die »kommende Gesellschaft« diskutieren (Raul Zelik mit Elmar Altvater), den Weg in einen offenen Sozialismus skizzieren (Beat Ringger) oder Perspektiven der Emanzipation ausloten (RaulZelik).

Hierin reiht sich das anzuzeigende Buch von Meinhard Creydt ein. Von den genannten unterscheidet sich »Wie der Kapitalismus unnötig werden kann« vor allem durch seinen Anspruch. Es ist »harte Kost«, wie es bereits in einer Besprechung von Creydts »Theorie der gesellschaftlichen Müdigkeit« aus dem Jahr 2000 hieß. Dies vor allem, weil der Autor, Psychologe und Soziologe, bedauerlicherweise einer akademischen Sprache verhaftet bleibt. Des Weiteren aber auch, weil sich seine Argumentation auf einem sehr hohen theoretischen Niveau bewegt. Für eine Seite Creydt benötigt man doppelt so lange wie für das durchschnittliche etwas anspruchsvollere Sachbuch. Gleichzeitig jedoch ist diese Komplexität auch der Vorteil von Creydt. Wenn man sich Zeit nimmt, sich auf den Text einlässt, wird man viel von dem Buch lernen können.

Worum geht es? Creydt will zeigen, dass es nicht reicht, den Kapitalismus zu kritisieren. Denn solange er als »alternativlos« erscheint, wird die Kritik den Kapitalismusbefürwortern keine Sorgen bereiten. Um aber Alternativen zum Kapitalismus zu entwickeln, benötigt es Dreierlei: ein »Positivszenario von in Deutschland gegenwärtig ansatzweise vorfindlichen Erfahrungen, Bewusstseinsinhalten und sozialen Kräften, die zu einer Überwindung der grundlegenden Strukturen des kapitalistischen Wirtschaftssystems beitragen können«.

Zweitens braucht es Konzepte von Strukturen der nachkapitalistischen Gesellschaft, die der Komplexität moderner Gesellschaften gewachsen sind. Und drittens hält Creydt ein Paradigma der nachbürgerlichen Lebensweise für unabdingbar. Ihm ist es ferner wichtig – anders als meist in der linken Tradition –, die »nachkapitalistische Gesellschaft nicht im Horizont der vermeintlich unverwirklichten Werte der bürgerlichen Gesellschaft« zu konzipieren. Er möchte, ohne in den Utopismus zu verfallen, die institutionellen Umrisse einer nachkapitalistischen Gesellschaft entwickeln. Dabei knüpfen die in dem Buch enthaltenen Konzepte oft an existierende Institutionen und Strukturen an – werden ausgeweitet, modifiziert und integriert.

Der Autor setzt sich überdies ab von sozialdemokratischen Konzepten der Bändigung des Kapitalismus, von realsozialistischen Steuerungskonzepten, Selbstverwaltungsutopien und marksozialistischen Konzepten sowie von technokratischen Vorstellungen eines Computersozialismus. Ebenfalls in Abgrenzung zu dominanten Strömungen der Linken sind ihm Fragen der Ästhetik und des »guten Lebens« zentral. Creydt spricht vom Unnötigwerden des Kapitalismus, weil er voluntaristische Tendenzen kritisiert. Kapitalistische Strukturen und bürgerliche Lebensweisen lassen sich nicht langfristig außer Kraft setzen: »Sie können nur unnötig werden.«

Fabian Westhoven