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(in: Junge Welt, 23. 12. 2021, S. 12f., Überschrift: Glanz und Ramsch)

„Sinn, und dieser Satz steht fest, ist der Unsinn, den man lässt“ (Odo Marquard).

Die kapitalistische Ökonomie gilt als leistungsstark, insofern sie eine große Masse und Vielfalt von Waren und Dienstleistungen anzubieten vermag. Wir fragen nach der Qualität der Gebrauchswerte. Das Leitkriterium der Wirtschaft – die Verwertung des Kapitals – ist in einem massiven Umfang mit einer Fehlentwicklung des Angebots verbunden. Um zufällige Qualitätsmängel handelt es sich nicht. Vielmehr lassen sich verschiedene Vorgehensweise unterscheiden, die zu unnötigen und schädlichen Gebrauchswerten führen. Wer sich vergegenwärtigt, in welchem Ausmaß die Arbeitenden für problematische Gebrauchswerte eingespannt werden, gewinnt einen Ansatz, die Erfolgsmaßstäbe der kapitalistischen Ökonomie infragezustellen.
Manches erweist sich als schlicht überflüssig oder riskant. In einer 2016 veröffentlichten Rezension des immer wieder neu aufgelegten und überarbeiteten Standardwerks „Bittere Pillen“ heißt es: „Die Berliner Fachzeitschrift arznei-telegramm kritisiert einen bedrohlichen ‚Qualitätsverlust bei der Arzneimittelzulassung und eine mangelhafte Risikoüberwachung der Behörden?. Datenmanipulationen bei Studienergebnissen, irreführende Werbung und falsche Behauptungen über das Risiko von Nebenwirkungen sind in der Pharmabranche schon fast alltägliche Praktiken. Erschreckende Bilanz dieser Neuausgabe von Bittere Pillen: Fast jedes dritte Medikament hat einen fragwürdigen Nutzen oder ein unvertretbares Risiko“ (https://www.scinexx.de/buchtipps/bittere-pillen/).

Schädliche Produkte
Andere Produktionszweige setzen massiv schädliche Stoffe frei. „Nach konservativen Schätzungen belaufen sich in der EU die von hormonschädlichen Substanzen (in Pestiziden, Weichmachern und anderen Bestandteilen von Plastik – Verf.) verursachten Gesundheitskosten auf jährlich 157 Mrd. Euro“ (Clausing 2017). Der Pulitzer-Preisträger Michael Moss (2013) beschreibt, wie die Nahrungsmittelindustrie den Lebensmitteln gezielt Salz, Zucker und Fett zusetzt. Das aktiviert künstlich die Verzehrneigung und begünstigt zugleich massive Stoffwechselstörungen. „Zucker (ersetzt), mit den richtigen Aromastoffen kombiniert, teurere Zutaten wie zum Beispiel Obst oder Gemüse“ (Der Spiegel H. 10, 2013, S. 125). Deutsche nehmen inzwischen doppelt so viel Zucker im Jahr zu sich (36 Kg), wie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt. 83% entfallen davon auf Fertigwaren (Ebd.). „In einer Recherche identifiziert die Verbraucherorganisation Foodwatch 1514 Produkte aus deutschen Supermärkten, die sich in Aufmachung und Platzierung an Kinder richten. […] Rund 73% dieser Kinderprodukte sind süße oder fettige Snacks“ (Ebd., 130). „Mehr als jedes zweite Erfrischungsgetränk ist laut einer Foodwatch-Markenstudie nach wie vor überzuckert […]. ‚Zucker liefert nicht nur leere Kalorien ohne Mineralien und Mikronährstoffe, sondern trägt unmittelbar zur Entstehung einer Fettleber und Insulinresistenz bei’, sagte Andreas Pfeifer, Direktor der Abteilung Endokrinologie der Charité Berlin“ (Der Tagesspiegel 22.9.2018, S. 17).

Verschwendung durch Privateigentum
Die Produktion von Autos, in denen eine Person fährt und die 23 Stunden am Tag nicht genutzt werden, bedeutet eine gigantische Verschwendung von Arbeit und Ressourcen. Die Dominanz des motorisierten Individualverkehrs passt zu einer Gesellschaft, in der die Individuen sich gegenseitig als Schranke ihrer Freiheit ansehen. Die Privateigentümer „sind niemandem etwas schuldig, sie erwarten sozusagen von niemandem etwas; sie gewöhnen sich daran, stets von den anderen gesondert zu bleiben, sie bilden sich gern ein, ihr ganzes Schicksal liege in ihren Händen“ (Tocqueville 1987, 149). Aus der Perspektive des einzelnen Autofahrers gelten andere Autofahrer als lästige Hindernisse der „freien Fahrt für freie Bürger“.

Ein anderes Beispiel dafür, wie der Besitzindividualismus mit materieller Verschwendung und einer Fehlentwicklung der Lebensweise einhergeht, bildet die Zersiedelung. Die Schweizer sprechen von „Hüslipest“. Das Eigenheim im sog. Speckgürtel führt zu langen Wegen, erschwert Treffen mit Arbeitskollegen, Verwandten und Freunden in der Freizeit und trägt insofern zur Vereinzelung bei. Auch ökologisch ist die Zersiedelung fatal. Allein der Aufwand für das Heizen und das Isolieren ist beim frei stehenden Eigenheim angesichts seiner Proportion zwischen Außenwänden und Wohnfläche absurd.

Würde das Prinzip „Ausleihen statt kaufen“ herrschen, wären weniger Güter und ein geringerer Arbeitsaufwand zu ihrer Herstellung erforderlich. Eine Bohrmaschine will bekanntlich nichts anderes als bohren. Befindet sie sich aber im privaten Besitz eines US-Haushalt, so kommt sie auf eine durchschnittliche Leistungsdauer von 13 Minuten, bis sie weggeworfen wird. Sie erleidet ein ebenso trauriges wie unverdientes Schicksal als „borer with much boredom“. Das Privateigentum schließt auch die Konkurrenz der verschiedenen Betriebe ein. Gegenwärtig koexistieren z. B. zig verschiedene Krankenversicherungen, die alle ihre eigenen Apparate unterhalten. Jeder von ihnen müht sich an der Aufgabe ab, den Konkurrenten die Kunden abspenstig zu machen. Diese Mehrspurigkeit bildet eine Ursache der Verschwendung von Arbeit, die in einer nachkapitalistischen Wirtschaft wegfallen kann. Wenn Unternehmen ihre Forschungs- und Entwicklungsarbeiten in der Konkurrenz geheim halten müssen, dann wird nicht selten etwas entwickelt und erforscht, das andernorts bereits entwickelt und erforscht ist oder wird. Die diesbezüglich europaweit vergeudete Summe lag 2006 nach Angaben des österreichischen Patentamtes bei 60 Mrd. € und betrifft 15-30% der Forschungsausgaben [http://www.pressetext.com/news/20060405045].

Geplanter Verschleiß
Viele Produkte sind auf Kurzlebigkeit hin verfertigt. Möglichst bald sollen Ersatzkäufe stattfinden. Die Produkte werden billiger, halten aber kürzer. Insofern handelt es sich beim Preisvorteil um eine „Preislüge“. „Müssten die Verbraucher nicht ständig neue Produkte kaufen, weil die alten zu früh kaputtgehen, blieben ihnen im Jahr 100 Milliarden € übrig“ (Süddeutsche.de, 20.3.2013). Vgl. die umfassende Studie von Kreiß 2014.

Waschmaschinen, die drei Jahre halten, kosten gegenwärtig ca. 300 Euro. Eine Waschmaschine, die 20 Jahre hält, kostet 1000 Euro. „Ich kann mir in 20 Jahren also eine Waschmaschine um 1000 Euro kaufen oder sieben Waschmaschinen um je 300 Euro. Im Endeffekt investieren Sie bei den Billigwaschmaschinen viel mehr.“ Bei qualitativ hochwertigen Waschmaschinen „werden bessere Materialien verwendet, richtig dimensionierte Bauteile – insbesondere Stoßdämpfer und Lager. […] Bei Billigwaschmaschinen sind z.B. die Stoßdämpfer typische Sollbruchstellen. Die gesamte Wirkung der Stoßdämpfer beruht auf zwei eingefetteten Schaumstoffstreifen. Nach zwei Jahren ist das Fett weg, nach zweieinhalb Jahren ist der Schaumstoff zerbröselt und die stoßdämpfende Wirkung ist gleich null. Die Unwucht des Anschleuderns geht auf das Lager und das Lager gibt innerhalb eines halben Jahres den Geist auf. So kommt man auf die drei Jahre Haltbarkeit“ (Eisenriegler 2017, 18).

Angebot von Produkten mit peripheren und marginalen Neuheiten
Das ständige Angebot solcher Produkte trägt bei zur künstlichen Veraltung technisch funktionsfähiger Produkte. „Ca. 85-90% der Projekte in den industriellen Forschungs- und Entwicklungs-Abteilungen befassen sich mit der Entwicklung von Scheininnovationen und defensiven Produktveränderungen“, sparen also die Kosten, die bei „radikalen Neuerungen“ entstünden, und stellen so eine „suboptimale Ausnutzung der vorhandenen Innovationskapazität“ dar, so der Techniksoziologe Werner Rammert (1983, 160f.). Der Teufelskreis besteht darin, immer Neues kaufen zu sollen und überflüssige Arbeit leisten zu müssen, um damit die Profitmaschinerie in Gang zu halten. „Lag der Produktlebenszyklus von Fahrzeugen in den 70ern im Schnitt noch bei 8 Jahren, waren es in den 90ern bereits nur noch drei Jahre“ (Der Tagesspiegel 9.4.2011).
Die kapitalistische Ökonomie lebt von einem unendlichen Prozess, der kein Ankommen kennen darf, also nicht befriedigbare Bedürfnisse bevorzugt, sondern ein Begehren, das durch alle Angebote nur noch weiter gesteigert wird. Das „Konsumklima“ gilt als positiv, wenn Konsumenten viel kaufen und damit bekunden, dass die Befriedigung ihrer Bedürfnisse nicht erreicht ist.

Die Produktion zentraler Güter der gegenwärtigen deutschen Wirtschaft entspricht eher einem Programm zur Wirtschaftsförderung als der Suche nach einer kostengünstigen Lösung. Mobilität erfordert nicht die Dominanz des motorisierten Individualverkehrs. Er verursacht weit mehr Kosten als ein Verkehrswesen, in dem der öffentliche Personenverkehr, Sammeltaxis, Car-Sharing u. ä. an erster Stelle stehen. Nach 1945 wurden in Deutschland 200.000 km Straßen neu gebaut und 15.000 km Bahnlinie abgebaut. Wer eine Karte der Bahnverbindungen von 1955 und von heute vergleicht, sieht: 1955 gab es ein dichtes Netz von Verbindungen. Heute sieht die Karte aus wie eine Glatze, über die wenige Haare gekämmt sind. In Bezug auf das Bahnnetz und auch die Zahl der Krankenhausbetten – 1998: 571.000, 2012: 501.000 – haben wir jedenfalls keine „Wachstumsgesellschaft“.
Anfang der 1990er Jahre war die Hoffnung noch groß, die Autoindustrie werde sich zügig auf ein 3-Liter-Auto hin bewegen. Faktisch hat sich das durchschnittliche Gewicht deutscher Autos in den letzten 40 Jahren verdoppelt. „Als Argument dient den Herstellern stets das Zauberwort Sicherheit. [...] Airbags, Dämpfer oder abknickende Lenksäulen im Kollisionsfall machten allenfalls 30, 40 Kg Gewicht aus. Der große Rest wurde in immer mehr Leistung und immer größeren Komfort gesteckt“ (Schindler 2014, S. S. 160). Mit dem Elektroauto erreicht die Autobranche langsam die Stufe des größten anzunehmenden Unfugs. Wegen der Batterieproduktion werden bei der Produktion eines Elektroautos mehr CO2-Emissionen freigesetzt als bei einem herkömmlichen Pkw. Elektroautos steigern den Bedarf nach Strom immens. Das Problem ist nicht der Motor, sondern die Masse der Autos. „Sicher werden auch in Zukunft noch Autos benötigt, aber deren Anzahl kann gegenüber heute massiv reduziert werden. Wir brauchen sie z. B. als Krankenwagen, kleine Lieferfahrzeuge, Handwerkerfahrzeuge oder Leihwagen“ (Meier 2021).

Übertechnisierte Produkte
stellen eine andere Variante dar, in der die Suche von Kapitalen nach ihrer Verwertung mit der Verschwendung von Arbeit, Forschungs- und Entwicklungstätigkeit einhergeht. Viele Pkws stellen inzwischen Beispiele für overengineering dar. Es „verfügen etwa der Phaeton von VW oder die S-Klasse von Daimler über rund 100 Elektromotoren, darunter solche, die für das Kippen der Kopfstützen verantwortlich sind oder für die automatische Erkennung der Sitzposition. Es gibt Spurhaltesysteme und Abstandsregeltempomaten, Müdigkeitssensoren, Verkehrszeichenerkennungssysteme und Fernlichtautomatiken, City-Notbremsfunktionen, dynamische Frontlichter. […] Friedrich (der interviewte Autoexperte – Verf.) macht sich gelegentlich einen Spaß daraus, Ingenieure zu bitten, ihm alle Funktion des Autoradios oder das Bord-Navigationssystem zu erklären. ‚Das können die nie’. All dies Einbauten erhöhen das Gewicht“ (Schindler 2014, 160). Solche Technik „löst“ Probleme, die man ohne sie nicht hätte. Die Maxime lautet: „I hob zwoar ka ohnung wo i hinfoahr; Aber dafür bin i gschwinder duat“ (Helmut Qualtinger). Dekadenz (vgl. Lotter 2012) herrscht, wenn die Spezialisten ihrer unendlichen Verbesserungssucht am falschen Objekt frönen. Diesem immensen Aufwand entspricht keine Verbesserung der Lebensqualität. Zu wenig und zu viel, das ist dem Narren sein Ziel. Solche Spezialisten sind vernarrt in ihre Expertise. Schon der Nobelpreisträger Enrico Fermi antwortete auf den Einwand zu seiner Beteiligung an der Entwicklung der Atombombe: „Lasst mich in Ruhe mit euren Gewissensbissen, das ist doch so schöne Physik.“

Wir sind bei Produkten angelangt, die eine Fehlevolution darstellen. Wer denkt bei „viel Masse, wenig Hirn“ nicht an die Minipanzern ähnelnden Pkw (SUV)? Umstrittener wird die Einschätzung der Digitalisierung sein. Zwar verfährt Manfred Spitzer in seinen Büchern („Digitale Demenz“, „Cyberkrank“, „Die Smartphone-Epidemie“) bisweilen nach der Maxime „Im Zweifel gegen den Angeklagten“. Zugleich finden sich in Spitzers Publikationen viele Fakten und Argumente gegen die Position „Digital first. Bedenken second“ (FDP-Parole im Bundestagswahlkampf 2017).

Tätigkeiten, die aus sozialen Gegensätzen resultieren und dazu beitragen, sie aufrechtzuerhalten.

Ein Gegensatz findet sich zwischen Anbietern und Konsumenten. Viele Aktivitäten in Call-Centern dienen dem „Abwimmeln“ der Kunden: Das Center funktioniert „als Grenzwächter, der den Zugang rationiert und die Genervten zurückstaut. Mit Blick auf die Airlines, die in diesen Tagen (Covid-Lockdown – Verf.) Millionen von abgesagten Flügen erstatten müssen, notiert der Rechtsexperte Ronald Schmid in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung: ‚Die Taktik ist, die Leute abzuschrecken, zu zermürben’“ (Joffe 2020). Ein anderer sozialer Gegensatz betrifft die steuerlichen Abgaben: Möglichst viel Vermögen dem Zugriff des Finanzamtes zu entziehen ist ein wesentlicher Inhalt der Arbeit von Personen, die als Steuerberater, als Beschäftigte in Steuerberatungsbüros oder in den mit Steuermaterien befassten Finanzabteilungen großer Unternehmen tätig sind. Viele Rechtsanwälte sind nicht nur Diener am Recht, sondern auch Verdiener am Unrecht. Advokaten befördern häufig ein Verhalten, das „sich grundsätzlich an der untersten möglichen Grenze des Erlaubten orientiert, ein Verhalten, bei dem geradezu die Grenze als Grenze gesucht wird“ (Schöllgen 1946, 19). Als schlau gilt, wer „sich wohlüberlegt auf dem gesellschaftlich eben noch tragbaren untersten Niveau“ bewegt „im Rahmen einer ‚Minimum’-Moral“ (Ebd., 20f.). Und sie wird um so wahrscheinlicher, desto größer die Vorteile ausfallen, die mit ihr zu erreichen sind. Sie legen eine Negativspirale nahe und die Angleichung auf unterem Level. Insofern ist der „Mensch der Grenzmoral“ gefährlicher als der Verbrecher. „Denn der Verbrecher stellt sich offen gegen das Gesetz; der ‚Schlaue’ aber nutzt alle seine Vorteile“ (Ebd.).

Problemvermarktung
Eine andere Ursache, die Arbeiten und Dienstleistungen problematisch werden lässt, ist die Problemvermarktung. Am Fortbestand der Probleme und ihrer Ursachen verdienen diejenigen, die nicht Vorsorge bzw. direkte Problembearbeitung anbieten, sondern Kompensation von negativen Auswirkungen. Die industrielle Schweinemast schädigt das Grundwasser. Teure Trinkwasseraufbereitung wird auch dort nötig, wo Pflanzenschutzmittel das Wasser verunreinigen. Straßenbaufirmen verdienen daran, dass viel Schwerlastverkehr auf Straßen stattfindet. Ein 40-Tonner-LKW verursacht die gleichen Schäden und Belastungen für die Straßen wie 40.000 PKWs [http://www.bindels.info/?p=3020].
Andere Produkte setzen einen problematischen Zustand von Fähigkeiten, Sinnen, Sozialbeziehungen und Reflexionsvermögen voraus und verstärken ihn. Beispiele dafür sind die Bildzeitung, ein großer Anteil der Computerspiele und die Pornographie. Auch die „Regenbogenpresse“ zählt dazu. Sie füllt ihre Seiten mit Klatsch über Prominente und mit Geschichten aus tausend und einer Yacht.

Schluss
Die Lohnabhängigen müssen ihr Einkommen durch Vermietung der zeitweiligen Nutzungsrechte an ihrer Arbeitskraft erzielen. Sie machen sich die problematischen Arbeitsinhalte und Angebote dann auch oft subjektiv zu eigen. Auf Dauer fällt es schwer, den Gegenstand der „eigenen“ Tätigkeit abzulehnen. Diejenigen, die sich im gewerkschaftlichen Aktivitätsfeld „gute Arbeit“ engagieren, setzen sich für bessere Arbeitsbedingungen ein. Arbeit wird aber nicht schon dadurch „gut“, dass in ihr pfleglich mit der Arbeitskraft umgegangen wird. Kapitalistische Firmen legen an das Arbeiten das Kriterium der Mehrwertproduktion an. Das macht sich nicht nur negativ an den Arbeitsbedingungen und am Lohn bemerkbar. Angesichts des Mangels an eigener Kaufkraft heißt es zu Recht: „Wir wollen uns nicht länger darum sorgen müssen, wie wir am Monatsende über die Runden kommen, oder jeden Euro drei Mal umdrehen müssen.“ Wer allein für höhere Löhne eintritt, stellt das Verfügungsmonopol der Kapitalseite über die Arbeitsinhalte nicht infrage. Angesichts der skizzierten massiven Fehlentwicklungen der in der kapitalistischen Marktwirtschaft angebotenen Gebrauchswerte gilt es zu sagen: „Wir haben davon genug“.

Unterstützen und stärken wir die sozialen Kräfte, die die beschriebenen grundlegenden Fehlentwicklungen aufdecken und bekämpfen! Zeit wird es, dass systemkritische Politik die problematischen Gebrauchswerte ins Zentrum ihrer Aufmerksamkeit rückt. Immer nur für „gerechte Verteilung“ eintreten und „die bösen Börsenbuben“ (Franz Schandl) skandalisieren reicht nicht aus. Die erforderliche Neuausrichtung des Angebots, der Gebrauchswerte bzw. der Arbeitsprodukte und Dienstleistungen, lässt ökologisch problematische Produktionen wegfallen, verringert die Müllberge sowie das Arbeitsvolumen. Infrage steht eine Wirtschaft, deren Wachstum einhergeht mit einer Steigerung des Überflüssigen und Schädlichen. Nicht nur die Umweltverschmutzung bildet ein zentrales Problem, auch die Innenweltverschmutzung sowie die Schädigung der Sozialität durch Verkäufermentalität und Gleichgültigkeit. In einer befürwortenswerten Wirtschaft orientieren sich die Anbieter daran, sozial sinnvolle Produkte und Dienstleistungen zu schaffen (vgl. Creydt 2019, 2021). In einer nachkapitalistischen Gesellschaft könnten große Teile der gegenwärtigen Angebotspalette wegfallen. Die „Kunden“ hätten dadurch keine Einbuße an Lebensqualität. Wenn nicht mehr dafür gearbeitet werden müsste, dass problematische Produkte und Dienstleistungen als Gelegenheit gelten, in ihrer Erarbeitung Mehrwert erzeugen zu können, würde wenigstens insofern die Arbeitsmenge sinken. Das ermöglicht es, im Bereich des Wirtschaftens den Druck zu verringern.

Literatur:
Clausing, Peter 2017: Eingeklemmt zwischen Großkonzernen. In: Der Rabe Ralf. Die Berliner Umweltzeitung. H. 3 (April), S. 12
Creydt, Meinhard 2019: Was kommt nach dem Kapitalismus? Berlin (54seitige Broschüre, hg. von Helle Panke e.V.)
Creydt, Meinhard 2021: Sinnvolle Existenz als Maßstab des eigenen Lebens und der Gesellschaft. In: Telepolis 13.6.2021 http://www.meinhard-creydt.de/archives/1230
Eisenriegler, Sepp 2017: Interview. In: Arbeit&Wirtschaft, 1/2017, S. 18. Wien
Kreiß, Christian 2014: Geplanter Verschleiß. Berlin
Joffe, Josef 2020: Sie wollen uns zermürben. Warum Kunden in der neuen Service-Ökonomie nur scheinbar König sind. In: Die Zeit, Nr. 39, 17.9. 2020, S. 28
Lotter, Konrad 2012: Marx als Theoretiker der Dekadenz. In: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie, Jg. 37, H. 1
Meier, Klaus 2021: Wasserstoff – ein Energiefresser. In: Sozialistische Zeitung, September 2021
Moss, Michael 2013: Salt Sugar Fat – How the Food Giants Hooked Us. New York
Rammert, Werner 1983: Soziale Dynamik der technischen Entwicklung. Opladen
Schindler, Jörg 2014: Stadt, Land, Überfluss. Warum wir weniger brauchen als wir haben. Frankfurt M.
Schöllgen, Werner 1946: Grenzmoral. Soziale Krisis und neuer Aufbau. Düsseldorf