Jul
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Angesichts der Schwierigkeiten, Ökologie nicht nur rhetorisch zu praktizieren, arbeitet Micha Hilgers in seinem Buch Ozonloch und Saumagen. Motivationsfragen der Umweltpolitik daran, wie ein ökologischer(er) Lebensstil als “im weitesten Sinne auch chic, selbstwertsteigernd, attraktiv und imagestark” (10 f.) gelten könne und wie Umweltbewegte bei frustrierenden (Mißerfolgs-)Erfahrungen fähig bleiben, ihre Bemühungen fortzusetzen. Nicht der Verzicht, sondern der Zuwachs an Lebensqualität in verkehrsberuhigten Städten sei in den Vordergrund zu stellen und der Imagegewinn durch ökologisches Handeln.

Für eine andere Verkehrspolitik gelte es, so Hilgers, das Objekt Auto zu kritisieren, nicht aber das Symbol Auto. Allerdings fragt sich, ob er im berechtigten Bestreben, gegenüber enger Verkoppelung Wunsch und Objekt voneinander zu distanzieren, die Wünsche (etwa Mobilität, “Lifestyle” und Distinktion betreffend) selbst zu wenig problematisiert. [1] Die Alternative, derzufolge ökologisches Engagement entweder als Asketentum zu gelten oder die Maßstäbe gegenwärtigen Wohlstands zu erfüllen habe, wenn auch mit anderen Mitteln, erscheint zu eng. Unstrittig bleibt jedenfalls die Warnung vor direkten, Widerwillen gegen Bevormundung hervorrufenden Angriffen auf etablierte Lebensformen.

Hilger unterschätzt in seiner Konzentration auf die Rolle der Motivationsfragen in der (Umwelt-)Politik weder die Verdrängung ökologischer durch Armuts- oder Unsicherheitsthemen noch staatliche (etwa verkehrspolitische) Vorgaben, die es leicht (oder: schwer) machen, das Auto stehen zu lassen. Er kritisiert, wie ökologisch abträgliche Politik die mangelnde Bereitschaft der Bürger legitimatorisch vorschützt. Individuelles Handeln, das politisch nicht institutionell unterfüttert und prämiert wird, gerät dann zur voraussetzungslosen Voraussetzung statt zum einwirkungsoffenen, also veränderbaren Resultat. Gegenüber einer pauschalen Kritik an der vermeintlich mangelnden Bereitschaft der Bürger, aus ihren Einstellungen Konsequenzen folgen zu lassen, bindet Hilgers die Wahrscheinlichkeit konkreter Handlungen an die Möglichkeit (etwa bei der Mülltrennung), einen offensichtlichen Mißstand durch “eigene, leicht umsetzbare Verhaltensweisen bekämpfen zu können… die erforderlichen Umstellungen sind alltagsnah und konkret und bedürfen keiner komplizierten Umorganisation” (18).

Hilgers kritisiert die Abwertung tastender Versuche als bloßes Lippenbekenntnis oder Gewissenspflaster. [2] Er insistiert gegenüber jeder vorschnellen Eindeutigkeit auf dem notwendig widersprüchlichen und ambivalenten Charakter von Übergängen. Neue Lebensstile würden nicht als komplettes Paket ganz oder gar nicht ausprobiert, sondern vorläufig und in kleinen Portionen. Hilgers nimmt die Gegenposition zu einer Kritik ein, die die Beschränktheit und Inkonsequenz von Vorhaben gegen sie wendet. Ihr gerät das Scheitern zum Apriori. Sloterdijk (1996/117) hat diesbezüglich von den “Halbklaren” gesprochen, “die schnellmürrische Urteile über das Zerbrechlichste schon für Erfolge der Kritik halten.”

In der Wertung von Erfolgen und Mißerfolgen bemerkt Hilgers eine schiefe Zuordnung, derzufolge ökologische Erfolge in den “Pfälzer Saumagen” gesteckt und der Regierung positiv zugeschrieben, wohingegen Waldsterben und Ozonloch von Bürgerinitiativen und Umweltschutzorganisationen oft wie eigenes Versagen gewertet werden. Dagegen komme es darauf an, Resultate des ökologischerseits ausgeübten Drucks als eigene Leistung zu veranschlagen, nach außen offensiv zu vertreten und von einer defizit- und mißerfolgsorientierten Selbstwahrnehmung und Öffentlichkeitsarbeit abzukommen. Hilfreich wäre gewesen, wenn Hilgers es hier nicht beim allgemeinen Hinweis auf Erfolge belassen, sondern konkrete (Teil-)Erfolge benannt hätte, etwa bei der Atomkraft. [3]

Gegenüber eindeutig pessimistischen oder optimistischen [4] Szenarien sei Spannungs- oder Ambivalenztoleranz zu bewahren. Angesichts der “Ohnmachtsfalle” gilt es, sich weder von der eigenen Ohnmacht noch der herrschenden Macht dumm machen zu lassen (Adorno). Keine Perspektive bieten voluntaristisch-moralisierende Erwartungen, die den Erfolg an eine virtuose ethische Anstrengungssteigerung binden.

Hilgers verkennt nicht die Grenzen der von ihm favorisierten lokalen und regionalen Schritte [5] angesichts umfassenderer und unvorhergesehener Nebenfolgen und Drittschäden. Allerdings sieht er keinen anderen Weg zur Erweiterung der Handlungsfähigkeit als den, “das individuelle Kompetenz- und Kontrollerleben” zu fördern, das Handeln mit “Rückmeldungen über erzielte Verbesserungen und Erfolge” zu verknüpfen sowie ein “Wir-Gefühl” zu vermitteln, das sich darin gründet, “miteinander etwas zu bewegen… im Gegensatz zu häufigen Vereinzelungs- und Ohnmachtserfahrungen bei politischen Themen” (45). [6] Die kleinen Schritte zur Verbesserung der Umwelt sollen Appetit auf mehr machen und das Selbstvertrauen in die soziale Gestaltung gesellschaftlicher Sachverhalte steigern. Sie geschehen um einer neuen sozialökologischen Politik willen, deren Fehlen nicht durch eifrige Mülltrennung des Bürgers oder Energiesparlampen kompensiert werden könne. Hilgers unterschätzt allerdings hier Probleme: Sich durch die vermeintliche oder wirkliche Globalisierung von Problemen nicht einschüchtern zu lassen ist das eine, die Selbstberuhigung bei selektiv-punktuellem Engagement (Ökolebensmittel ja, Auto auch) und dessen konditionale und kompetitive Qualität das andere: ,Nun haben wir schon - etwas - für die Umwelt getan, jetzt sind erst mal die anderen dran. Wenn die mitziehen, erst dann tun auch wir den nächsten Schritt.`

Hilgers bindet politische Urteile an die jeweilige Vorstellung von Handlungschancen und sieht in der Befürchtung, letztlich doch Mißerfolgserfahrungen zu erleiden, das Meta-Problem, das die Bearbeitung der sachlichen Probleme erschwert bis verhindert. “Man kann seiner eigenen Zeit nicht böse sein, ohne selbst Schaden zu nehmen, fühlte Ulrich” (Musil, 1981/59). Auch vor dem Hintergrund dieser zu vermeidenden Erfahrung bilden sich allerhand Meinungen, die nicht in den die jeweiligen Materien betreffenden sachlichen (Fehl-)Auffassungen aufgehen. “Handlungsfähigkeit” ist so kognitiven Gehalten vorgeordnet, bei allen Rückwirkungen in der umgekehrten Richtung. Hilgers stellt die - für sich genommen - kleinen praktischen Schritte ein in eine Diagnose, die alles andere als optimistisch ist, aber gerade deshalb paradoxerweise sich Pessimismus nicht leisten kann: Wie beim Schwerstkranken sei Überaktivität ebenso schädlich wie Resignation.

Hilgers zufolge täusche die Momentaufnahme über die Dynamik hinweg, handele es sich doch bei der mit etwa 8 Prozent bezifferten Gruppe der Personen, die dem Umweltschutz besonders positiv gegenüberstehen, um einflußreiche Multiplikatoren (178). Allerdings finden sie sich auch auf der “Gegenseite”, die die in letzter Zeit gestiegene Verwirrung [7] über vermeintliche oder wirkliche Risiken und outrierte [8] oder realistische Gefahrenabschätzung zu nutzen weiß.

Hilgers Überlegungen zur Bewältigung von Niederlagen werfen Licht und Schatten auf das einschlägige Ideal der “Handlungsfähigkeit”. Sicher erscheint es notwendig, nach einer Niederlage sich von der Konzentration auf das konkrete Streitobjekt zu den umfassenderen Zielen zurückzuwenden (89). Hier klingt der stoische Charakter [9] vieler psychologischer Ratschläge an, eine ebenso unbestimmte wie umfassende innere Freiheit den konkreten Handlungen entgegenzustellen, auf daß letztendlich von ihrem Ausgang das Individuum nicht “eigentlich” (in seiner Autonomie) betroffen erscheint. Ein Trost, der nur um den Preis einer Vertauschung oder Transsubstantiation des konkreten Individuums mit seinem wahren inneren Selbst funktioniert. Die extrapolierte Konsequenz lautete dann: Du bist nichts, dein Selbst ist alles. Die Bürgerinitiativteilnehmer “erlebten sich nun aber wieder als Repräsentanten übergeordneter Visionen, die nicht nur an der (nicht verhinderten - Verf.) Straße hingen - und damit auch nicht an diesem einzigen Punkt scheitern konnten” (90). Hilgers umgeht damit an dieser Stelle seine eigene zentrale Aussage, konkrete Erfolge seien notwendig, um allgemeine Vorstellungen zu verankern. Die psychologi(sti)sche Besprechung der Niederlage suggeriert, die Niederlage falle schon weit weniger schmerzlich aus, wenn nur der “verbreitete Erlösungswunsch, wenigstens das eine Mal mit einem Projekt vollständig erfolgreich gewesen zu sein” mitreflektiert werde (93). Die nüchtern-reife Vertrautheit mit der Heteronomie der Welt, von der das Individuum sich schon um seiner psychischen Gesundheit willen nicht zu viel versprechen möge, folgt der Maxime, der Schmerz an gesellschaftlich beeinflußbaren Zumutungen sei zu vermeiden durch die realistische Einstellung auf sie und den Verzicht auf überansprüchige Erwartungen - ein Verzicht, der keiner sei, sondern: Gewinn. [10] Die pragmatisch-nüchterne psychologische Kritik “unrealistischer”, “unreifer” und dem Individuum letztlich selbst schadender Wünsche und Vorstellungen droht, auch über die Gegenwart hinausweisende und für deren Veränderung tüchtige Impulse gleich mit zu erledigen. [11]

Hilgers Position impliziert eine erhabene Metaposition, die von keiner Niederlage mehr getroffen werden mag. Angestrebt ist eine “politische Arbeit, die nicht nur strahlende Gesichter und Erfolge kennt, sondern sich auch Rückschlägen und ihrer emotionalen Verarbeitung nicht verschließt” (94). “Nicht nur strahlende Gesichter” - ein angesichts heutiger Verhältnisse bemerkenswerter Euphemismus, der sich der psychologi(sti)schen Erfahrungsverarbeitung verdankt. Dann aber wird das Vermögen, sich durch Niederlagen nicht entmutigen zu lassen, zum Maßstab der Wahrnehmung. Fehlt es an diesem Vermögen, muß die Wirklichkeit wenigstens interpretativ umgewertet werden. Erfolg findet sich dann immer - in einem (methodischen) Selbstverständnis, dem es um keine bestimmten Individuen mit konkreten Anliegen und speziellen Konfrontationen in der Welt geht. Sie avancieren vielmehr zum Anwendungsfall einer Ausgewogenheit nach den Erfordernissen psychischer Inneneinrichtung. Für das private Seelenheil mag es gewiß pragmatisch notwendig sein, sich zu jedem Mißerfolg einen Erfolg, zu jeder schlechten eine gute Seite zu denken, um das Gleichgewicht zu behalten. Hilgers unterscheidet sein legitimes Anliegen, gegenüber zu großer Verzagtheit Frustrationstoleranz zu verstärken, zu wenig von der alltäglichen Selbststoifizierung, die sich auch gegenüber Hilgers eigenem Anliegen negativ verhält. Die Umgangsweise mit Niederlagen, zu der er auffordert, existiert immer schon: als Beruhigungsmittel und Stimmungsaufheller, die sich Bürger naturwüchsig selbst verabreichen, unter Verhältnissen, die sich auch so erst aushalten und reproduzieren lassen.

Hilgers Verdienst ist es, den Schmerz ob der Mißerfolge der Umweltbewegung zu thematisieren. Eindringlich stellt er die Frage, wie weder in Verbissenheit noch in Verzweiflung zu verfallen sei. Sein Ideal eines unendlichen psychischen Verdauungsvermögens übergeht aber das Problem. “Die Relativierung idealer Selbstvorstellungen ist etwas Alltägliches - sie vollzieht sich individuell im Austausch mit Freunden, Partnern oder Gegnern… Der Größenvorstellung, angesichts ökologisch nur begrenzt sinnvoller Entscheidungen keine Schuld auf sich nehmen zu müssen, steht die schmerzliche Akzeptanz eigener Verantwortung und Begrenztheit gegenüber” (117). Damit avanciert die eigene Begrenztheit - gerade im vermeintlich vernünftigen Rekurs auf sie - zu reflexiver Selbst-Vollkommenheit. Ihr zufolge muß die Grenze nicht mehr als Schmerz gespürt werden, und das Individuum leidet nicht mehr als endliches Wesen, sondern lebt als über die Grenzen hinaus auf diese reflektierendes und sich mit ihnen versöhnender Geist. [12] Psychologie schlägt in Psychologismus um, wo zwischen “Freunden, Partnern oder Gegner” nicht unterschieden wird. In seinem Plädoyer gegen “fundamentalistische Verweigerung” (116) stattet Hilgers die Außenwelt mit dem Vorzug aus, geradezu das Mittel der Wahl darzustellen in der Kur überzogener “narzißtischer Illusion eigener Größe, ökologischer Unschuld und Unbeflecktheit” (116, vgl. a. 117). Von konkreten Zielen und Gegensätzen ist hier nurmehr unter der psychologischen Perspektive die Rede, in der die Außenwelt als Mittel einer Innenwelt willkommen geheißen wird, auf daß der Burg nicht von innen das Wasser ausgehe. Die Indifferenz und abstrakt-selbstreferentielle Reproduktion der den Individuen wie der Umwelt abträglichen gesellschaftlichen Strukturen gerät zum ebenso optimal dosierten wie pädagogisch wertvollen Diskrepanzerlebnis, an dem das Individuum letztendlich nur reifen könne.

Haben es Psychologen notwendigerweise mit Individuen und (gesellschaftlich gesehen) kleinen Veränderungen zu tun, so gerät die Aufmerksamkeit für verselbständigte soziale Strukturen ins Hintertreffen. Aus deren Erwähnung - sie geschieht eher vollständigkeitshalber und konzessionshaft - folgt gewöhnlich: nichts. Statt den Fundamentalismus auf diese Strukturen zu beziehen - als pseudoradikale Verarbeitung der Ohnmacht gegenüber selbstreferentiell sich immunisierenden Systemen - suggeriert Hilgers, die Bedingung für das Praktizieren von ökologischer Nachhaltigkeit sei bereits (oder: immer schon) erfüllt. Deren Utopie macht er gegen jede Kritik an seiner gradualistischen Veränderungsstrategie geltend, könne es doch im Geiste ökologischer Nachhaltigkeit “keine fertigen Lösungen und schnellen Übergänge” geben. “Der Weg entsteht erst beim Gehen” (181). Hilgers Emphase für kleine Schritte verbindet sich mit einer auffälligen Enthaltsamkeit, ja, Desinteresse in der Frage, wie von diesen kleinen Schritten nicht tangierte Gesellschaftsstrukturen bearbeitet werden. Daß sie auch den kleinen Schritten bereits das Wasser abgraben und die Luft nehmen, erwähnt Hilgers zwar. Er sieht aber an diesem Problem nicht eine zentrale Herausforderung, der sich seine strategischen Überlegungen zu stellen hätten. Für seine gradualistische Überwindungsstrategie setzt er die Überwindung jener gesellschaftlichen Strukturen voraus, die doch erst ihr Ergebnis sein könnte.

Im Psychologismus wiederum erscheint die Ökologie als Gegner von “technologischem Perfektionismus und Omnipotenzansprüchen” (180), als sei die Welt Resultat von Willen und Vorstellung. Psyche und Gesellschaft stellen kaum Punkte eines Kontinuums dar, in dem am einen (gesellschaftlichen) Ende sich auswirkt, was am anderen (individuellen) Ende anfängt. Gesellschaftliche Strukturen beinhalten mehr (und: weniger) als ihre Teile (hier: die Individuen), besitzen eine eigene Emergenz, Logik und so fort. Bei Hilgers fehlt diese Unterscheidung - wenigstens dort, wo seine Perspektive ins Spiel kommt. Gesellschaftliche Phänomene werden dann im Horizont individueller Vorstellungen über sie verhandelt. Kapitalistisch konstituierte Technik, die eigenen Folgezwänge technischer Materien, der technologische Perfektionismus von Technikbegeisterten und individuelle Omnipotenzansprüche schließt Hilgers kurz zu einem Phänomen. An ihm hält er voneinander zu unterscheidende Aspekte (subjektive Verdolmetschungen sowie objektive Interessen und Beteiligungszwänge, konstitutive und kontributive Momente) nicht auseinander. “Ökologie stellt uns jedoch vor die psychologische Herausforderung, die prinzipielle Destruktivität menschlichen Verhaltens gegenüber jeder Umwelt anzuerkennen und unter den gegebenen Umständen das Verträglichste und Realisierbarste zu wählen” (166). Hier verschwimmt der Unterschied zwischen gewiß nur schwierig zu ändernden (und nicht aus allgemein menschlichen Gründen ökologisch destruktiven) Gesellschaftsstrukturen einerseits und in jeder Gesellschaft zu unterstellenden Problemen (nicht zuletzt mit der heteronomen Natur) andererseits. Mit letzteren muß man nolens volens sich arrangieren, mit ersteren nicht in gleichem Maße - auch wenn der praktischen Organisation von Gesellschaftsveränderung jene Schwierigkeiten entgegenstehen, die Hilgers vergegenwärtigt.

Wohl kritisiert Hilgers zu Recht den Eskapismus [13], es fragt sich aber, ob er nicht selbst nur eine andere Version bereitstellt, sich gegen den Druck des einschlägigen Problems unempfindlich zu machen. Ähnlich wie das Christentum auch in seinen wahrhaftigsten Varianten den Widerspruch von Mensch und Gott so intensiv ventiliert, daß eine Metahaltung nicht ausbleiben kann, die die Reflexion über die Sünde zur neuen und eigenständigen Lebenspraxis macht (vgl. Bauer 1843), ähnlich ergeht es auch der Psychologie, also Hilgers Profession. Psychologie wäre nicht noch problematischer, als sie selbst schon ist, wenn sie nicht dauernd in Psychologismus umschlüge. Die professionelle Ausdifferenzierung straft die Profis mit einer Blindheit für ihr Sein in der Welt, die nicht allein eine äußere Schranke ihrer Tätigkeit, sondern ihre innere Grenze darstellt. Hilgers gelangt zu einer Verbindung von psychischer Selbstwahrnehmung und der Wahrnehmung gesellschaftlicher Aussichten im Umweltbereich, nimmt diese Interdependenz in seiner psychologischen Perspektive aber zurück. Der Psychologe Hilgers kommt dem (Bewegungs-)Analytiker Hilgers ins Gehege. Dies geschieht nicht mutwillig. Die schwierige Lage der Umweltbewegung legt das Bedürfnis nach Entlastung nahe.

Anmerkungen

[1] Vgl. auch Kraemer 1997.

[2] Vgl. bspw. Boxberger/Klimenta 1998/231 f.: “Mülltrennen oder Energiesparlampen zu kaufen ist nur dann sinnvoll, wenn der eigene Energieverbrauch durch die individuelle Mobilität nicht um Größenordnungen über den so erreichten Energieeinsparungen liegt. Wir verhalten uns wie jemand, der sich über jeden gesparten Groschen freut, die großen Scheine aber aus dem Fenster wirft… Es ist gerade deshalb nichts, weil sich Menschen auf diese Art ein reines Gewissen durch - aus ökologischer Gesamtperspektive - lächerliche Kleinigkeiten erkaufen - und eine wirkliche Umorientierung damit ausbleibt… Wir raten also all denen, die Flugreisen oder - trotz zumutbarer umweltverträglicher Alternativen - regelmäßige Autobenutzung für eine Selbstverständlichkeit halten, auf pseudoökologisches Verhalten zu verzichten.”

[3] Vgl. taz, 30.4.96, S. 10, vgl. Häusler 1988/36.

[4] In bezug auf Maxeiner/Mierschs Öko-Optimismus (Düsseldorf 1996) spricht Hilgers von “kontradepressiver Euphorie”, die so wirke “wie das laute Singen im Kohlenkeller” (186).

[5] “Car-sharing und professionelle Autovermieter” (39), “kostendeckende Einspeisung erneuerbarer Energien” (40) und “regionale Produkte mit kurzen Wegen” (39).

[6] “Wenn eigenes Verhalten keinerlei Konsequenzen auf mittelbare wie globale Zusammenhänge zu haben scheint, ist die eigene Person, sind ihr Handeln und ihre Wertsetzungen der Bedeutungslosigkeit anheimgegeben. Entwürdigung und nachfolgende Scham des Individuums gehen mit der illusionären Entledigung des Verantwortungsprinzips Hand in Hand” (40 f.).

[7] Vgl. den Wechsel des Chemiekritikers Varenholt in die Vorstandsetage von Shell, vgl. den Streit bei den Grünen um die Gentechnik, vgl. den Wandel der früheren Natur-Redakteure Maxeiner und Miersch usw.

[8] Vgl. als einschlägiges Beispiel die instruktive Diskussion über die Windenergie - etwa in den Blättern für deutsche und internationale Politik, H. 10/97 und 12/97. Vgl. auch Politische Ökologie, H. 54 1998, S. 92 ff.

[9] Bei allen durchaus wahrgenommenen Unterschieden zwischen antikem Kosmos und moderner Welt (vgl. Geier 1997) beziehen sich ganz verschiedene Schulen von Psychologie und -therapie auf den Stoizismus, vgl. etwa Hoellen (1986), Binder-Raith (1981).

[10] Vgl. den Gesprächspsychotherapeuten Rogers (1973/175): “Um noch einmal Maslow über den sich selbst aktualisierenden Menschen zu zitieren: ,Man beklagt sich nicht über Wasser, weil es naß ist, noch über Felsen, weil sie hart sind. So wie das Kind die Welt mit großen, unkritischen und unschuldigen Augen beschaut, sich einfach merkt und beobachtet, was der Fall ist, ohne die Sache zu diskutieren oder zu verlangen, daß es anders sei, so betrachtet der sich selbst aktualisierende Mensch die menschliche Natur in ihm wie in anderen.` Diese aufnahmebereite Haltung gegenüber dem Bestehenden finde ich bei Klienten in der Therapie.”

[11] Wir “wissen von der Nüchternheit aus der täglichen Erfahrung, daß wenn wir nüchtern sind, wir uns zugleich damit oder gleich darauf hungrig fühlen. Jenes nüchterne Denken aber hat das Talent und Geschick, aus seiner Nüchternheit nicht zum Hunger, zum Verlangen überzugehen, sondern in sich satt zu sein und zu bleiben. Damit verrät sich dieses Denken…, daß es toter Verstand ist; denn nur das Tote ist nüchtern; und es ist und bleibt damit zugleich satt. Die physische Lebendigkeit aber wie die Lebendigkeit des Geistes bleibt in der Nüchternheit nicht befriedigt, sondern ist Trieb, geht über in den Hunger und Durst, nach Wahrheit und Erkenntnis derselben” (Hegel, Bd. 18/36).

[12] Feuerbachs Hegelkritik hat in der Auseinandersetzung mit diesem Unterschied noch heute ihre Aktualität.

[13] Hilgers sieht “die Verklärung von Natur oder untergegangener Kulturen” (vgl. zur Kritik daran 104 ff.) als Flucht vor der Verantwortung, “wie mit deprimierenden Nachrichten umzugehen ist, wie Erfolg und Niederlagen zu verkraften und wie unsere begrenzten Möglichkeiten einzusetzen sind” (110).

Literatur

Bauer, Bruno (1843): Leiden und Freuden des theologischen Bewußtseins; in: ders.: Feldzüge der reinen Kritik, Frankfurt/M., 1968

Binder-Raith, Eva (1981): Selbst- und Weltbild bei depressiven und sozial-ängstlichen Menschen, Frankfurt./M.

Boxberger, Gerald/Klimenta, Harald (1998): Die zehn Globalisierungslügen, München

Geier, Manfred (1997): Das Glück der Gleichgültigen. Von der stoischen Seelenruhe zur postmodernen Indifferenz, Reinbek bei Hamburg

Häusler, Jürgen (1988): Die (falschen) Väter des Erfolges. Anti-AKW-Bewegung; Sozialdemokratie und Atomprogramm; in: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen, H. 4

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1971): Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie Bd. 1. In: Ausgabe Moldenhauer/Michel, Bd. 18., Frankf./M.

Hoellen, Burkhard (1986): Stoizismus und rational-emotive Therapie - Ein Vergleich, Pfaffenweiler

Kraemer, Klaus (1997): Umweltnutzung und materielle Kultur. Kritische Überlegungen zum Leitbild “Sustainable Development”; in: Rademacher, Claudia; Schweppenhäuser, Gerhard (Hg.): Postmoderne Kultur? Soziologische und philosophische Perspektiven. Opladen

Musil, Robert (1981): Der Mann ohne Eigenschaften. Bd. 1, Reinbek bei Hamburg

Rogers, Carl (1973): Entwicklung der Persönlichkeit, Stuttgart

Sloterdijk, Peter (1996): Selbstversuch - ein Gespräch mit Carlos Oliveira, München (Hanser)

Walter, Helmut (1984): Über den Umgang mit politischer Ohnmacht, KZfSS 3/84, S. 423 ff.

Wiesenthal, Helmut (1989): Ökologischer Konsum - ein Allgemeininteresse ohne Mobilisierungskraft?; in: Stachlige Argumente, H. 54