Mai
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ZUR VORGESCHICHTE VON RAMBOUILLET

Am 12.10. 98 wurde zwischen Milosevic und Holbrooke vereinbart, OSZE-Beobachter in den Kosovo zu schicken. “Frage Freitag: Nun wird der OSZE nach der Vereinbarung… vorgeworfen, sie habe zuviel Zeit gebraucht, um im Krisengebiet mit einer Verifikationsmission wirksam zu sein.
Antwort Willy Wimmer (CDU), Vizepräs. d. Parlamentar. Versammlung der OSZE: “Ein berechtigter Vorwurf. Doch es ist ganz merkwürdig, man sieht sich nicht in der Lage, innerhalb einer relativ kurzen Zeit 2.000 OSZE-Beobachter zusammenzustellen, die konflikteindämmend wirken können, aber man ist andererseits durchaus in der Lage, so wie jetzt einen gewaltigen Militärapparat in Gang zu setzen. Bezogen auf die OSZE-Mission kann ich nur sagen, höchste Repräsentanten haben mir bei meinem letzten Besuch in Pristina folgendes gesagt: Nach der erwähnten Holbrooke-Milosevic-Vereinbarung habe sich die jugoslawische Armee an die getroffenen Festlegungen gehalten. Von der UCK jedoch wurden sie systematisch unterlaufen, so daß es zu einer unheilvollen Kette von Provokationen zwischen der serbischen Staatsmacht und der UCK gekommen ist.” Freitag 2.4. ; S. 2

Wenn J.Schmierer (Kommune 5/99, S. 9) davon spricht: “Alle Friedenspläne und Entwicklungsabsichten für die Zukunft des Balkans hängen davon ab, daß Milosevic mit seiner Vertreibungspolitik im Kosovo und der Chaotisierung einer ganzen Region nicht durchkommt”, dann zeigt sich hier eine in der Öffentlichkeit auch sonst weit verbreitete Einseitigkeit: Vergessen ist in der Konzentration auf die unmittelbare Gegenwart und in der Fixierung auf erpresserische Ja-Nein-Fragestellungen der Sinn für die Geschichte, konkret hier dafür, daß die UCK noch vor 2 Jahren ein Kümmerdasein führte. Erst die “Chaotisierung” Albaniens, also Unruhen, in deren Verlauf ein großer Anteil das Waffenarsenal der Armee in private Hände überwechselte, im Verein mit einer Förderung der UCK durch westliche Geheimdienste (vgl. Fernsehmagazin Monitor des WDR , vgl. Konkret 3/99) ermöglichten überhaupt der UCK einen bewaffneten Kampf in größerem Maßstab.
Bereits schon vom Standpunkt einfacher Fairness muß es befremden, wie Serbien in der Region für alles Schlimme und Böse verantwortlich gemacht wird, als seien die Gegenspieler Serbiens die verfolgte Unschuld. [1]

RAMBOUILLET

“Erfolgreiche Konfliktvermittlung ist kaum möglich, wenn die Vermittler - in diesem Fall die fünf Nato-Staaten in der Kontaktgruppe - zugleich mit militärischer Gewalt drohen.” (A. Zumach, taz 30.3., S. 1)

“Am 8.4. fand sich in der New York Times eine äußerst wichtige Feststellung, niedergeschrieben vom angesehenen Belgrader Korrespondent dieser Zeitung, Steven Erlanger. Erlanger schreibt, daß nur wenige Tage vor den Bombenangriffen, als das serb. Parlament Nato-Truppen im Kosovo ablehnte, dieses gleichzeitig den Gedanken einer UN-Streitmacht, die das politische Abkommen überwachen sollte, akzeptiert hatte.” (Noam Chomsky, in: Zeitung gegen den Krieg Nr. 3, S.8)

“Ich sehe R. gar nicht als eine Verhandlung. Die USA und die EU haben dort ein Konzept präsentiert, von dem sie sagten, es sei in den wesentlichen Teilen nicht zu verändern. Das war auch die öffentliche Darstellung. Ihr müßt unterschreiben oder wir bombardieren.” (Horst Grabert, ehem. Botschafter in Jugoslawien, in: Freitag 30.4.99, S. 3)

“Gescheitert ist das Abkommen letztlich daran, daß die Nato darauf beharrte, die Umsetzung des Abkommens durch eine Nato-geführte Friedenstruppe im Kosovo überwachen zu lassen. Henry Kissinger hat für dieses Ansinnen folgenden Vergleich gefunden:
‘Von Jugoslawien, einem souveränen Staat, verlangt man, die Übergabe der Kontrolle und Souveränität über eine Provinz mit etlichen nationalen Heiligtümern an ausländische Militärs. Analog dazu könnte man die Amerikaner auffordern, fremde Truppen in Alamo einmarschieren zu lassen, um die Stadt an Mexiko zurückzugeben, weil das ethnische Gleichgewicht sich verschoben hat.’” AK H. 425, 15.4.99, S. 3

Der Vertrag von Rambouillet “ist bisher nicht offiziell veröffentlicht worden. Ich konnte die explizite Analyse des Vertrages von R. erst vor 10 Tagen vornehmen. Dieses Papier wurde keinem Parlament zugeleitet oder auf irgend eine andere Weise zugänglich gemacht. Meine Informationen erhielt ich über private, halboffizielle Informanten durch das Internet. Wenn man dieses Papier sofort nach seiner Fertigstellung hätte einsehen können, so wäre man sicherlich darauf gestoßen, daß die Argumentation, man habe alle politisch-diplomatischen Mittel ausgereizt und nun bestehe Bombenzwang, nicht haltbar gewesen wäre.” (Hermann Scheer, SPD-MdB , Mitglied des Bundesvorstands der SPD, in: junge welt 12.4., S. 3)

DAS UM- BZW. ÜBERGEHEN DER UNO

wird oft damit legitimiert, mit Rußland und China säßen zwei Staaten “im Weltsicherheitsrat, die ähnliche Menschenrechtsverletzungen kürzlich begangen haben” (Kommune 5/99, S: 75).
Legitimiert u.a. mit der (sich bisweilen mit linken Auffassungen verbindenden) Einseitigkeit, die Verbrechen in den ‘realsozialistischen’ Staaten zu verharmlosen, ist eine Zutraulichkeit den USA gegenüber eingerissen. Wenn ihre politischen Repräsentanten die Menschenrechte im Munde führen, wird ihnen dies heute weit mehr auch in jenen Kreisen abgenommen, die früher - nach einschlägigen Erfahrungen (Vietnam, Chile, Nikaragua usw.) - darauf allergisch reagiert hätten. Die realen Zwecke, die die USA mit ihrer Führung des Natokrieges verfolgen (Abschreckung von gegenwärtigen und zukünftigen ‘Schurkenstaaten’, deren Definition entlang der Interessenkalküle der in der Militärallianz aufgrund militärischer Stärke führenden USA), geraten mit der Auffassung in den Hintergrund, mit dem NATO-Krieg werde aus welchen Motiven auch immer das Richtige getan.

Selten sind Stimmen in der Taz wie die von Ralf Sotscheck (12.4.99, S. 11):
“Haben jene, die den Angriff auf Serbien bejubeln, die Geschichte vergessen? Die schlimmsten Diktatoren seit 1945 sind mit Hilfe der USA oder Britanniens an die Macht gekommen. In Indonesien sind 1965 eine halbe Million Menschen (nämlich: Kommunisten - Verf.) mit britischer Hilfe umgebracht worden. Und im Irak sind aufgrund der US-Sanktionen eine halbe Million Kinder gestorben.”

Natürlich kann man den Verweis auf Fälle, in denen im Ausmaß weit erheblichere (Türkisch-Kurdistan) oder ähnliche Vertreibungen (Kolumbien) [2] in der unmittelbaren Einflußsphäre der USA stattfinden, damit relativieren, ein nebulöses Subjekt habe nun ‘gelernt’. Wer so argumentiert, glaubt an die normative Selbstbeschreibung der Akteure und dechiffriert sie nicht auf deren Interessen und Fähigkeiten. Von ihnen aber, nicht von der Norm, hängt ab, ob Norm und Interesse übereinstimmen oder nicht.

“Die britische Regierung argumentiert, wer dafür sei, daß der frühere chilenische Diktator PINOCHET nach Spanien ausgeliefert wird, müsse auch für den Nato-Einsatz in Serbien sein. Unsinn. Bei Pinochet geht es darum, ihn vor Gericht zu stellen und nach Recht und Gesetz zu verurteilen, im Fall Milosevic geht es den USA genau darum nicht. 78 Länder haben bisher den Vertrag über einen International Criminal Court unterzeichnet, die Regierung in Washington weigert sich, es zu tun. Natürlich hätte dieser Gerichtshof, wäre er bereits einsatzfähig, die Kosovo-Krise nicht verhindern können, doch die Sprache der US-Regierung ist zu verräterisch, was die Motive der Nichtunterzeichnung anbelangt. Was wäre wohl passiert, entsetzte sich Jesse Helms, wenn es den Gerichtshof bei der US-Invasion von Panama und Grenada oder bei der Bombardierung von Tripolis gegeben hätte? Eben. Die USA und ihre Nato wollen sich nicht in der Wahl der Mittel bei der Durchsetzung ihrer Interessen einschränken lassen. Wer ihnen in Serbien humanitär Motive unterstellt, hat in den vergangenen 50 Jahren nicht aufgepaßt.” Ralf Sotscheck (taz 12.4.99, S. 11)

DEUTSCHE MITVERANTWORTUNG IN DER UNMITTELBAREN VORGESCHICHTE (90er JAHRE): DIE FRÜHE ANERKENNUNG VON SLOWENIEN UND KROATIEN:

Der damalige UN-Generalsekretär Perez de Cuellar wandte sich am 10.12.91 an die 12 EU-Außenminister mit den Worten: “Ich bin tief beunruhigt darüber, daß eine verfrühte, selektive Anerkennung den gegenwärtigen Konflikt ausweiten und eine explosive Situation hervorrufen könnte”. In einem weiteren Schreiben vom 14.12. an Genscher heißt es, “daß verfrühte selektive Anerkennungen eine Erweiterung des Konflikts in jenen empfindlichen Regionen nach sich ziehen würden. Solch eine Entwicklung könnte schwerwiegende Folgen für die ganze Balkanregion haben …” (Dokumentation des Briefwechsels in Rundbrief 2/96 des Versöhnungsbunds)

Vgl. ausführlicher dazu: John Newhouse: Bonn, der Westen und die Auflösung Jugoslawiens - Das Versagen der Diplomatie. In: Blätter f. dt. u. int. Politik 10/92

DIE ÖKONOMISCHE VORGESCHICHTE

Das Pro-Kopf-Einkommen hatte sich im früheren Gesamtjugoslawien zwischen den Regionen unterschiedlich entwickelt. Setzt man das Einkommen für 1970 als 100, so erreicht Slowenien 1987 177, Kroatien 130 und Serbien 98. Das Lohnniveau im Norden ist mehr als 30% höher als im Süden (Arbeiterpolitik 4/5 1989, S: 17). “Die Serben gehören zu den Leidtragenden der Krise und der Auseinanderentwicklung der Regionen. Ihnen nützt deshalb eine Verstärkung der zentralen staatlichen Instanzen, weil sie nur auf diesem Wege die notwendige Umleitung von Ressourcen aus den entwickelten Gebieten wie Slowenien erreichen können. Sie besitzen aufgrund ihres Gewichts und ihrer historischen Stellung in Jugosl. als einzige die Chance, Zentralisierungsbestrebungen auch zum Durchbruch zu verhelfen” (ebd. 23). “Slowenische Ökonomen äußerten z.B. Ende der 60er Jahre, daß Slowenien mit einer Gesamtbevölkerung von 8% 20% des Nationalprodukts herstellten und mehr als 50% seines Steueraufkommens nach Belgrad überweisen müßte. Sie verschwiegen, daß Slowenien sehr billige, weil mit niedrigen Löhnen erwirtschaftete Rohstoffe aus dem (rohstoffreichen! - Verf.) Kosovo erhielt.” (Arbeiterpolitik 5/91, S: 4f.)

Der jugoslawische Präsident Markovic sollte ab Frühjahr 1989 auf Geheiß des IWF ein marktwirtschaftliches Schockprogramm umsetzen (Bewertung der Betriebe nach Weltmarktkriterien, Einstellung staatl. Subventionen). Vor diesem Hintergrund verschärften sich die Spannungen zwischen dem reicheren Norden und dem ärmeren Süden. Slowenien hatte 1990 ein Bruttosozialprodukt von 5.500 Dollar pro Kopf, Kroatien 3.4oo, Serbien 2.2oo. “Neben den internationalen Schulden existierten auch auf der Ebene zwischen den Republiken Gläubiger- Schuldner- Beziehungen. Slowenien verweigerte seit 1990 das Abführen der Zolleinnahmen an die Zentralregierung. Serbien wiederum betrieb Destruktion am Staatsganzen, als es zur Jahreswende 1990/91 eigenmächtig die Notenpresse in Rotation versetzte, Dinar für umgerechnet 18 Mrd Dollar druckte, um Lehrer, Militärs und sonstige staatl. Angestellte entlohnen zu können. Damit unterlief Belgrad den gesamten, von Ministerpräs. Ante Markovic mit dem IWF ausgehandelten Sanierungsplan. Durch das Einschalten der Notenpresse demonstrierte die serbische Seite den unbedingten Willen zur Beibehaltung des politischen Primats über ökonomische Prozesse. In den reformwütigen Monaten der Wendezeit kam diese Haltung einer Kriegserklärung an IWF und Weltbank gleich.” (Hannes Hofbauer: Wie Jugoslawien zerstört wurde, in: Marxist. Blätter special April 99, S. 6)

DIE SITUATION IM KOSOVO VOR DEM BEGINN DER NATO-ANGRIFFE

wird von Kriegsbefürwortern so dargestellt, als habe eine Vertreibung und Repression des Ausmaßes, die unter dem Nato-Angriff stattfand, bereits vorher stattgefunden. Noch am 5.2. hat das Verwaltungsgericht Kassel erklärt, Koso-Albaner hätten aufgrund “mangelnder Verfolgungsdichte” nach iherer Abschiebung nicht mit Verfolgung zu rechnen, wohingegen das “Vorgehen der serbischen Sicherheitsbehördem … dem Grunde nach legitim” sei (zit. n.:Pro Asyl). In einem Schreiben des Innenministeriums vom 15.3.99, also kurz vor Kriegsbeginn, wird die Abschiebung einer 64jährigen kosovoalbanischen Frau und ihrer Kinder “begründet”: “Auch wenn die Zahl der Todesopfer mittlerweile auf über tausend angestiegen ist und aus den Kampfgebieten schätzungsweise 300.000 Albaner geflüchtet sind, rechtfertigen diese Zahlen rein quantitativ nicht die Annahme einer unmittelbaren staatlichen Gruppenverfolgung der rund 1,8 Mio Kosovo-Albaner” (SZ 3.4.99)

“Richtig … ist, daß daß es bis zum Abschluß der Rambouillet- Verhandlungen zwar schon schwere Menschenrechtsverletzungen, Tötungen, Zerstörungen von Dörfern und Vertreibungen von Kosovo-Albanern gab, die Entwicklung hin zu einer flächendeckenden Katastrophe setzte erst nach Beginn der Bombenangriffe ein. Das, was verhindert werden sollte, ist durch die Bombenangriffe erst eingetreten.” (Ströbele, in: Der Stachel April 99, S. 3 (Berliner Grünenblatt))

DIE MITVERANTWORTUNG DER KOSOVARISCHEN POLITISCHEN FÜHRUNG FÜR DAS MILOSEVIC-REGIME

Mit der Ausrufung einer Republik Kosovo im Mai 1992 verband sich “ein Boykott der Wahlen zu den politischen und administrativen Organen der Bundesrepublik. Wie die Abstimmungsergebnisse in der Bundesrepubl. Jugosl. ausweisen, wäre Milosevic längst ab- und die serbische Opposition an die Regierung gewählt, wenn die Albaner sich zugunsten letzterer an den Wahlen beteiligt hätten. Zwar ist auch die serbische politische Opposition in ihrer überwiegenden Mehrheit gegen eine Abtrennung des Kosovo. Aber mit dieser Opposition wäre es nicht nur für die Albaner einfacher gewesen, einen Kompromiß hinsichtlich des Status der Provinz auszuhandeln; dies hätte auch die Bemühungen der internationalen Gemeinschaft erheblich erleichtert, auf dem Gebiet des ehem. Jugosl. zu befriedigenden Regelungen und zu einer Integration auch Serbiens in die ‘europäischen Strukturen’ zu gelangen. Ein Kompromiß wurde aber von der gesamten albanischen politischen Elite in Kosovo abgelehnt.” (August Pradetto: Intervention in Kosovo? In: Blätter f. dt. u. int. Politik 9/98, S. 1073f.)

EINSEITIGER WAFFENSTILLSTAND

“ist - auch im Interesse von Hunderttausenden derjenigen, die alsbald einem Hungertod zum Opfer fallen könnten - dringend geboten, da nur so die Chancen für eine Zustimmung Belgrads zu einem humanitären Korridor zwecks schneller Rettung der bedrohten Menschen steigen. … Nur ein Friedensangebot, das von der großen Mehrheit der durch die Nato inzwischen gedemütigten Serben akzeptiert würde, wäre geeignet, das Milosevic-System in die Enge zu treiben - und nicht die Fortsetzung des Krieges. Nur ein europäischer Friedens- und Marshallplan für Jugosl. und den Balkan hätte die Chancen, national-rassistischen Scheinlösungen und dem Milosevic-System die Existenzgrundlage zu entziehen.” (Mohssen Massarrat, in: Freitag 7.5.99)

GIBT ES NUR DIE ALTERNATIVE ‘NATOKRIEG BEFÜRWORTEN ODER ZUSEHEN’?

“Aufgeklärte Pazifisten und klar denkende Militärexperten haben bereits 1991 davor gewarnt, wohin der nationalistische Wahn der ethnisch homogenen Besiedelung des Balkans führen werde, wenn man nicht mit allen verfügbaren Mitteln - und nicht nur mit militärischen als ultima ratio - wirtschaftlich und politisch, vermittelnd, helfend und disziplinierend eingreife, um die nationalistisch aufgeheizten Konflikte abzukühlen. Alfred H. Fried nannte das bereits 1908 ‘ursächlichen Pazifismus’. Alle Versuche in dieser Richtung vom Wirtschaftsembargo über die UN-Truppen in Bosnien bis zu den OSZE-Beoebachtern in Kosovo und den Hilfswerken waren politisch halbherzig, konzeptionell konfus und finanziell lächerlich unterdotiert: Eine Kriegswoche kostet die Steuerzahler der militärischen ‘Wertegemeinschaft’ heute mehr als alle nicht-militärischen Maßnahmen in der vergangenen Dekade zusammen.” Rudolf Walther, in Freitag 19, 7.5.99, S. 6

Das Mittun in den gegebenen (staatsimmanenten und militärischen) Zwängen und Gleisen zeigt seinen Preis.

“Das hätte sich die grüne Oppositionsethik nicht träumen lassen, daß Regieren heißt: Loyalität gegenüber dem Bündnis, Gehorsam gegenüber den USA, das eigene Schicksal da annehmen, wo man eben hingestellt ist (den Traditionen dieser Formulierung nachzufragen, wäre eine eigene Mühe wert - Verf.). Das ändert das grüne Politikverständnis von Grund auf. Es bedeutet den Abschied vomn alternativ-arroganten Abseitsstehen - die Entdeckung der Pflicht, anstelle der Gesinnung. … Diesmal sind die Grünen wohl weiter. Aber sie sind nicht mehr die Grünen.” (Bernd Ulrich in Tagesspiegel 6.4. , S. 1)

Wenn über Jahre hinweg eine zivile Arbeit gegen Verelendung und Nationalismus nicht finanziell, personell und politisch unterstützt worden ist, wird dies ‘Versäumnis’ als irgendwie ‘uns allen’ oder ‘den Europäern’ zuzuschreibendes Versagen gehandelt. Es wird nicht gefragt, warum wer aus welchen Interessen und Kalkülen daran kein Interesse hatte. Stattdessen ist ein undeutliches Kollektivsubjekt, eben: ‘wir’, angesprochen und aufgerufen. Ein ‘Versagen’ also, das nun, wo ‘es nun einmal passiert ist’ , jedenfalls ‘Aktionen’ notwendig erscheinen läßt. ‘Überhaupt etwas tun’ - dieser gesinnungsethischer Aktionismus des Nicht-untätig-daneben-stehen-wollens führt zu Handlungen, die einem Vorgehen gleicht, als müsse man bei der brutalen Behandlung von Hausbewohnern durch den Hausherr gleich das ganze Haus anstecken. Wenn man bei einem Brand über nichts anderes verfügt als über Benzin, dann soll auch das noch als ‘Helfen’ durchgehen.

“Der Frankfurter Politologe Ernst-Otto Czempiel, früherer Leiter der Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung, hält die Nato-Aktionen für einen ‘unnötigen Fehler’. Nachdem in Rambouillet ein Abkommen ausgehandelt worden sei, hätte es dieser massiven Aktion nicht bedurft, sagte Czempiel… Statt dessen hätte, wie schon in der Bosnien-Krise, mit politisch-wirtschaftlichem Druck auf die serbische Führung begonnen werden sollen. Die Blockade- und Embargopolitik habe damals gewirkt, Präsident Milosevic habe letztlich nachgegeben.
Czempiel verweist darauf, daß Serbien in der ersten Hälfte der Verhandlungen von Rambouillet bereit gewesen sei, die Regelungen für das Kosovo zu akzeptieren. NATO-Truppen in Kosovo hätte Milosevic jedoch nicht akzeptieren können. Die NATO habe sich in einen Handlungszwang begeben. ‘Das war entweder strategisch imkompetent, oder man hat diese Entwicklugn von Anfang an gewollt’, sagte Czempiel. ‘Unkontrollierbare Strategien führen aber auch zu unkontrollierbaren Situationen’.” (Tagesspiegel 26.3. 99, S. 2)

DIE MILITARISTISCHE LOGIK

“Menschenrechte besitzen eine zivile Logik: Menschen und ihre Rechte dürfen nicht in Namen der Menschenrechte mit militärischen Mitteln verletzt oder gar vernichtet werden. Die Luftschläge der Nato, die auch Unschuldige verwunden und töten, verletzten diese zivile Logik und das ihr folgende humanitäre Gebot.” (Willy-Brandt-Kreis in der SPD (G. Gaus, O.Negt, Kl. Staeck u.a.), zit. n. Freitag 16.4.99, S. 2)

“Aber ist ‘der Pazifismus’ strategisch an dem jüngsten Menschheitsverbrechen ‘Kosovo’ … tatsächlich gescheitert und widerlegt worden. WAREN WIRKLICH ALLE FRIEDLICHEN WEGE ERKUNDET WORDEN? Die Antwort ist: ja: nämlich alle die Wege, die einer in macht- und gewaltpolitischen Kategorien denkenden und trainierten politischen Klasse und deren einschlägigen Experten bekannt sind. Es sind die bornierten Mittel und Methoden fachidiotischer Herrschaftsmanager, die etwas vom Verhandeln verstehen, von Diplomatie, vielleicht auch etwas von Konferenzpsychologie und davon, wie ihresgleichen vermutlich auf solchen Druck reagiert. Aber wovon sie nichts verstehen, ist Politik - ist die Arbeit mit und an und für die Menschen, die ‘Massen’ , mit den Opfern und Adressaten der Herrschaft, auf ihrer eigenen Basis. Die Menschen … die serbische Bevölkerung … spielten im Druckrepertoire der Milosevic-Verhandlungspartner keine Rolle.” (Ekkehart Krippendorff : Krieg gegen die Politik. In: Freitag 9.4.99, S. 13 )

“Das fundamentale Versagen des Grünen- Außenministers und seiner Partei angesichts dieser zentralen Frage von Krieg und Frieden liegt in einem Demokratiedefizit: Warum hat er nicht sofort, als sich die Wahrscheinlichkeit des Krieges abzeichnete, einen größeren Kreis von qualifizierten Experten und überzeugten, engagierten Pazifistinnen und Pazifisten - Publizisten, Experten, politischen Aktivisten, Wissenschaftlern - gebildet, einen ‘Sachverständigenrat’, wie es ihn ja z.B. für die Atomenergie auch gibt, und dem die Frage vorgelegt, welche gewaltfreien Alternativen es zum Nato- Krieg gebe, die Mord und Vertreibung im Kosovo aufhalten könnten.” (Ebd.) Krippendorff sieht hier Möglichkeiten in einer totalen internationalen Isolierung des Milosevic-Regimes und einer Öffentlichkeitskampagne zur Aufklärung der serbischen Bevölkerung und zur Wiederbelebung der Opposition.

“Unser Außenminister, der sich kürzlich noch für einen zum Tode verurteilten Mörder (einen Deutschen) einsetzte und die Rechtsauffassung ‘Auge um Auge, Zahn um Zahn’ moralisch verwarf, billigt jetzt die Verurteilung von jugoslawischen Soldaten, Wehrdienstleistenden und Zivilisten zum Tode durch Bombardieren.
Die Schuld dafür allein dem jugosl. Präsidenten zu geben, ist gar zu einfältig. Der Westen muß sich die Frag gefallen lassen, welchen Anteil er selbst am Zustandekommen dieser Situation hat. Die komplexen Probleme in den Krisenregionen der Welt werden nicht durch Bomben gelöst. Besonders erschreckend ist die Position von Bündnis 90/Die Grünen in diesem Konflikt. Bedeuten bombardierte Chemiefabriken den ‘Ausstieg aus der Chlorchemie’? Überzeugen die Luftschläge hilfloser Eltern davon, daß es Unrecht ist, ihre Kinder zu prügeln? Die Partei hatte kürzlich noch den Austritt aus der NATO erwogen, wollte zumindest die Doktrin der Nato verändern, aber doch nicht, um Angriffskriege führen zu können! Jahre sind vergangen, ohne ernsthaft die zivilen Möglichkeiten zur Entschärfung des Konflikts im Kosovo in Angriff zu nehmen, und kaum ist Grün an der Regierung, wird Sprengstoff freigegeben …” Lutz Wierszbowski im Blatt der Grünen Liga ( Der Rabe Ralf) April/Mai 1999, S. 3

“Dauerhafter Frieden läßt sich nicht militärisch erzwingen. … Die Instrumente der Konfliktprävention müssen ausgebaut werden. Die Vereinten Nationen und ihre Regionalorganisationen brauchen außerdem dringend eigenständige Einheiten zur Überwachung von Sanktionnen, zur Konfliktmoderation und zur Durchführung friedensbewahrender Einsätze nach Kapitel VI der UN-Charta, die weder dem Kommando nationaler Armeen unterstehen noch von Militärbündnissen abhängig sind. Militärische Friedenserzwingung und Kampfeinsätze lehnen wir ab.” (Programm der Grünen zur Bundestagswahl, nicht 1980, sondern 1998, S. 135; s.a. S. 148f.)

“Terroristen sprengen im Sommer 1998 im Umkreis US-amerikanischer Botschaften Menschen und Häuser in die Luft. Ein abscheuliches Verbrechen. Die USA schießen zur Vergeltung mit Marschflugkörpern auf vermeintlich terroristische Einrichtungen im Sudan und in Afghanistan und sprengen Menschen und Häuser in die Luft. Die Opfer haben mit dem Vorfall nichts zu tun. Ein abscheuliches Verbrechen. Dem zuletzt genannten Verbrechen allerdings stimmen viele Teile der reichen Welt zu. Muß das Prinzip, Terror mit Terror zu vergelten, den Terror nicht ständig ausweiten? Hier handelt es sich nicht um irgendeine Episode, sondern um den Führungs- und Verhandlungsstil der Großen und Reichen gegenüber denjenigen, die gegen die Ungerechtigkeiten im Weltmaßstab gewaltsam aufbegehren.” (Komitee für Grundrechte und Demokratie: Die Neue Nato. März 99, S. 18)

DAS AUSMASS DER NATO-ANGRIFFE

Vgl. auch Der Spiegel 18/1999 zu den Umweltschäden durch den Natokrieg; dort das Urteil von Hermann Scheer SPD - MdB: “ökologische Katastrophe mit weiträumigen und langfristigen Konsequenzen”.
Knut Krusewitz, Umwelt- und Friedensforscher an der TU Berlin: “stummer Giftgaskrieg” der NATO auf jugosl. Territorium.

“Angriffe werfen Jugoslawien auf den Stand von 1945 zurück - Land wird von Importen abhängig sein” - Titel eines Artikels von Stephan Israel in Handelsblatt 20.4., S. 3

Für Scheer haben die Nato- Angriffe auf Jugosl. ein “kriegsverbrecherisches Ausmaß” erreicht. “Die Bombardements der Allianz seien offensichtlich auch auf zivile Ziele gerichtet, ‘die militärisch durch nichts legitimierbar sind.’ In Jugosl. drohe infolge der Angriffe eine ökologische Katastrophe. Das sei ‘ein Bruch des Umweltkriegsverbots’. Das serbische Volk werde ‘in Geiselhaft für das Milosevic-Regime genommen’.” (taz 29.4.99, S. 4)

Vgl. auch den Hinweis der internat. Ärzte gegen den Atomkrieg auf das in panzerbrechender Munition verwendete Uran 238 und dessen Folgen. “Nach Angaben von Gina Mertens verursacht der Uranstaub, der nach dem Aufprall freigesetzt wird, unter anderem Nierenschäden, Knochentumore, Lähmungen und Schäden bei Embryos. Die Ärztin erklärte, Gebiete, in denen diese Munition verwendet worden sei, könnten bis auf weiteres nicht bewohnt werden. Sie warf die Frage auf, ob die Bombardierung auf diese Weise nicht die Vertreibung der Bevölkerung des Kosovos zementiere: ‘Wer von uns möchte auf einer Sondermülldeponie wohnen?’” taz. 29.4.99, S. 3

“VÖLKERMORD, ELIMINATORISCHES PROJEKT”?

“Wie in allen bisherigen jugosl. Auflösungskriegen geht es auch in diesem um Territorium; das ‘eliminatorische Projekt’, von dem Goldhagen spricht, richtet sich nicht gegen eine Ethnie als solche, sondern gegen die dem Mehrheitsvolk gegenüber illoyale Bevölkerung eines Territoriums. Dieses Muster prägt alle Massenvertreibungen seit 1991, nicht nur die weitaus meisten, die von Serben verübt wurden. In Kroatien wie in Bosnien wurden auch mehrere hunderttausend Serben mit dem gleichen Motiv vertrieben. Daß in der Bilanz die serbische Seite weit häufiger als Täter denn als Opfer erscheint, ist eine Funktion der Macht- und Mehrheitsverhältnisse, nicht des Nationalcharakters.
… Anders als im Westen angenommen wird, empfinden Serben außer denen im Kosovo gegenüber Albanern im allgemeinen keinen Haß. Die typische Haltung den Albanern gegenüber ist vielmehr die Geringschätzung eines unterentwickelten Volkes, das erst unter serbischer Patronage halbwegs zivilisiert worden sei. Es sind viele Stereotype darunter, die Kolonisatoren gegenüber Kolonisierten entwickeln: daß das einfache Vok dankbar für die fremde Führung sei, daß es lediglich von ‘Halbgebildeten’ aufgeputscht werden. Im engeren Serbien, ohne das Kosovo, leben etwa 70.000 Albaner, viele davon in Belgrad. Solange die Albaner keine politishen Ansprüche stellen, funktioniert das Zusammenleben auch heute noch besser als in Hünxe oder Solingen, Rostock-Lichtenhagen oder Hoyerswerda.” (Norbert Mappes-Niediek , in: Freitag 19, 7.5.99, S.8)

“Die Serben waren nicht nur die größte Volksgruppe im Jugoslawien vor … 1991, sondern auch der Bevölkerungsteil, der am verstreutesten lebte: Ein Viertel der serbischen Bevölkerung wohnte außerhalb ihrer eigenen nationalen Teilrepublik, hauptsächlich in Kroatien und Bosnien. Mit dem Auseinanderbrechen Jugoslawiens sah sich die große serbische Volksgruppe einem feindlich kroatisch-nationalistischen Regime in Zagreb und einem feindselig bosnisch-muslimischen Regime in Sarajewo gegenüber. Die Angst, zu einer unterdrückten Minderheit zu werden, in Verbindung mit großserbischem Chauvinismus, entfachte eine neue Folge von Balkankriegen.” (Spartakist H. 135, Frühjahr 99, S. 11)

VERGLEICH VON SERBIEN MIT NAZI-DEUTSCHLAND UND VOM NATOKRIEG MIT LEGITIMER GEWALT GEGEN HITLER

“Der (israelische - Verf.) Historiker Moshe Zuckermann stellt fest, daß es in Deutschland wieder einmal ‘ausschwitzt’ und schreibt: ‘Das ist ideologisch im übelsten Sinne des Wortes: die Rationalisierung eigener Mitschuld am Verbrechen durch ‘moralische’ Verklärung, die Vertugendung eigenen Versagens.” zit. n. Freitag 7:5: 99, S. 1

“Anders als in den anderen europäischen Ländern wird dieser Krieg in Deutschland … auch zu einer Angelegenheit des nationalen Interesses. Das ist ein gefährlicher Weg. … Es wäre einem sehr viel wohler zumute, wenn Deutschland aus moralischen Gründen an einem Einsatz teilnähme, ohne mit ihm auch sogleich wieder Hitler besiegen zu wollen. Milosevic ist nicht Hitler.” Der Herausgeber der FAZ, zit .n. Sozialismus H. 5/99, S. 3

“Vielleicht täte der Nato eine Waffenpause auch schon deshalb gut, damit man mal in Ruhe klären kann, ob man Vertreibung, Mord, Totschlag, Vergewaltigung und Landraub auch dann noch Scheiße findet, wenn man ihn nicht mit dem Jahrhundert-GAU gleichsetzen kann. Na siehste, geht doch. Das krampfige Bemühen, es aber unter Antifa nicht zu machen, springt einen an wie die Not von Menschen, die ihre Selbstzweifel mit der größtmöglichen Keule bezähmen und verdrängen müssen. Nie war mir so walser wie heute.” (Friedrich Küppersbusch, in: taz 28.4.99, S. 13)

Was für ein läppisches Verständnis von Nazideutschland muß eigentlich haben, wer eine Macht mit Serbien vergleicht, die das militärische und ökonomische Potential dafür besaß, halb Europa zu erobern?

“Der ‘Imperialismus’ des Belgrader Regimes ging nie einen Quadratzentimeter über Jugoslawien hinaus, und das nicht nur aus taktischen Gründen. In allen Kriegen ging es auch dem inneren Antrieb der Kriegführenden nach bloß um die Aufteilung Jugoslawiens. Nach nationalserbischem Verständnis war Serbien in Jugoslawien diskriminiert, weil zu klein, ein Nachteil, der durch die Existenz des gemeinsamen Jugoslawiens gemildert und durch seinAuseinanderbrechen wieder akut wurde. … Bis 1998 wurde Serbien nicht diktatorischer regiert als der Nachbar Kroatien; die Verfassung fand in Belgrad mehr Beachtung als in Zagreb.” (Norbert Mappes-Niediek , in: Freitag 19, 7.5.99, S.8)

ZUM ARGUMENT, PAZIFISMUS FÜHRE ZU APPEASEMENT:

Dem Resultat (dem späten Kriegseintritt der USA) wird ein Grund unterstellt. Er lautet: Indifferenz und Unempfindlichkeit gegen das Leid der von den Nazis Drangsalierten. Dieser Grund aber ist die Projektion einer Unterstellung, mit der Kriegsbefürworter heute Kriegsgegner treffen wollen. Daß die Ablehnung des NATO-Krieges nicht bedeutet, nichts für die Kosovaren tun zu wollen, ist der aktuelle Fehler dieses Arguments. Hier geht es um den historischen Fehler, die tatsächlichen Gründe in den Regierungen der USA und Großbritannien für eine Zurückhaltung gegenüber Nazideutschland zu verkennen. Ein schwammiges Pseudosubjekt (’die Öffentlichkeit’) mit ihrer mangelnden Kriegsbegeisterung (die wiederum etwas anderes ist als: Pafizismus) muß dann dafür herhalten, die Meinungen der Bevölkerung als Grund für die Ausrichtung der im Lande politisch und ökonomisch Herrschenden auszugeben, als bereite nicht vielmehr umgekehrt meist das Alltagsbewußtsein die ‘Notwendigkeiten’, denen es unterliegt, als gutzuheißen auf. Wenn das Naziregime den Herrschenden in den USA und GB als nützliche Eindämmung der ‘roten Gefahr’ aus der Arbeiterschaft und aus der SU galt, so erwachsen daraus schon handfestere Motive für eine Zurückhaltung als eine Erklärung, die nur einen negativen Grund (Indifferenz usw.) anzugeben weiß, also das zu Erklärende (’Zurückhaltung’) im Erklärungsgrund nur verdoppelt (’Indifferenz’). “Das Argument, der ‘Zweite Weltkrieg sei nötig gewesen, um Hitler zu stoppen’, ist völlig daneben. Die Regierungen in den USA und in Großbritannien hatten erhebliche Sympathien für Hitler - Mussolini bewunderten sie geradezu. Das was so bis Ende der 30er Jahre. Und vergleichbares galt für den japanischen Faschismus. … Erst als Hitler selbst diese Länder angriff, enwickelte sich daraus ein Krieg. … Keine dieser Regierungen tat es (Kriegseintritt - Verf.), um ‘Hitler zu stoppen’” (Noam Chomsky, zit.n. Zeitung gegen den Krieg Nr. 3, S. 8, April 99). Die späte Eröffnung einer zweiten Front in Europa verdankte sich auch dem Abwarten, ob die Wehrmacht in der Niederwerfung der SU nicht durchaus ihren auch für den Westen sinnvollen Dienst leisten könne. Nachdem dieses als Erfolg bewertete Ergebnis sich nicht einstellte, wollte man eins gewiß nicht: Ein zu weites Vordringen der Roten Armee bis in den Westen. Kurz: Pazifismus war nicht der Grund von Appeasement.

Zum Vergleich Holocaust/Kosovo: “Wird dadurch der Holocaust nicht auf eine Ebene allgemeiner Gewaltbereitschaft der Militärapparate gezogen, in der die Zivilbevölkerung nicht erst seit Vietnam zur Geisel gemacht wird… Werden durch eine solche Übertragung nicht generelle Legitimationen für militärischen Konfliktaustrag gegeben, während es gerade darum geht, endlich die Möglichkeiten und Kapazitäten der zivilen Konfliktbearbeitung auszubauen und anzuweden? Verstellt eine solche Übertragung nicht die Analyse konkreter Konflikte, von denen die Welt voll ist? Lehrt uns nicht gerade der Holocaust, mit aller Kraft den Frieden vorzubereiten? Der Holocaust ist zweifellos aus dem Geiste der gewalttätigen, militärischen Durchsetzung von Zielen dieses Jahrhunderts hervorgegangen.” (Komitee für Grundrechte und Demokratie: Krieg auf dem Balkan, April 99, S. 10)

POLEMIK GEGEN DIE FRIEDENSBEWEGUNG

Sie sei “vor jenem von J. Fischer so genannten Zweckpazifismus zu bewahren, der sich nicht scheute, gemeinsam mit serbischen Nationalisten auf den Ostermärschen aufzutreten und diese Institution des Friedensbekenntnisses vielerorts zu einer Kakophonie des Zynismus, zu einer skrupellosen Instrumentalisierung der Gewissensnöte von Menschen und der Verdrehung hochachtbarer Überlieferungen zu machen.” (R. Schaeffer in Kommune 5/99, S: 74). Ich weiß nicht, welche Demonstrationen Schaeffer beobachtete. In Berlin nahmen am Ostermarsch 20.000 teil (Tagesspiegel 6.4.; in der TAZ werden bei allen Anti-Kriegsdemonstrationen die Teilnehmerzahl tiefer angegeben als selbst in herkömmlichen Medien), darunter vielleicht 1.000 Serben. Dies zu den Proportionen. Ob die Serben nun alle Nationalisten waren, bei manchen ließe sich dies vermuten, entzieht sich meiner Kenntnis. Vielleicht wollten einige auch gegen die Zerstörung ihres Landes demonstrieren. Jedenfalls gab es aus dem (’autonomen’) Lautsprecherwagen, der auf den jugosl. Block folgte, der sich an die Spitze gesetzt hatte, scharfe Kritik am serbischen Nationalismus. Zwischenzeitlich wurde auch erklärt, man wolle nicht mit Nationalisten zusammen demonstrieren. Daß dann die Leute nach und nach dem serbischen Block nachziehen, ihn überholen , sich die Blöcke vermischen usw. - all dies ist in heutigen Demonstrationen üblich, in denen es eben keine festen Blöcke mehr gibt. Daß Demonstrationen nicht mehr straff organisiert sind wie in den 70er Jahren, erklärt, warum ein Ausschluß von Gruppen, die der Mehrheit der Demonstranten eher dubios erscheinen, praktisch nicht möglich ist. Dies durchzusetzen, dafür bräuchte es organisierte Gruppen, die es nicht gibt. Auch auf den größeren Berliner Demonstrationen vom 18.4. und vom 8.5. wurde auf den Kundgebungen nicht an klarer Kritik am serbischen Vorgehen gespart. Allerdings dürfte die Hauptaufgabe der Friedensbewegung in der Einwirkung auf die ‘eigene’ Regierung liegen.

SINNVERKÄUFER IM AUSSENDIENST

“Ohne den Außenminister J.Fischer gäbe es die rot-grüne Koalition in Bonn heute schon nicht mehr. Von einem Sozialdemokraten in diesem Amt hätten die Grünen sich niemals den Krieg erläutern lassen.” Ralf Beste, in: Berliner Zeitung 21.4. 1999, S. 4

DIE GRÜNEN

Neue Parteibezeichnungen machen die Runde: “Bündnis 90 / Die Farblosen” heißt es im den Grünen vor dem Krieg eher wohlwollend gegenüberstehenden ‘Freitag’ (9.4.99), “Jäger 90 / Die Olivgrünen” heißt es andernorts. Mit Ausnahme der tapferen 7 grünen Bundestagsabgeordneten, die gleich zu Beginn gegen den Krieg aufgetreten sind, ist aus den oberen Etagen der grünen Partei bestenfalls Manöverkritik zu hören, nicht aber die erforderliche Kritik daran, daß der NATO-Krieg von Anfang an falsch war und ist. Die penetrant zur Schau gestellte Schwierigkeit des Sich-Entscheidens und die Zerrissenheit der eigenen Seele, der demonstrative Gestus des Sich-Schwermachens bedienen ‘human interest’ und eine ‘Tyrannei der Intimität’, in der die falschen politischen Entscheidungen vor der Einfühlung in den schweren Job des Politikers in den Hintergrund rücken sollen.

Einige besondere Widerwärtigkeiten aus dem grünen Spitzenpersonal:

Fischer, s. Artikel im Freitag vom 7.5.99
“Mit Beginn der Nato-Luftangriffe ist Ordnung eingezogen ins rot-grüne Chaos. Drei Männer fanden zusammen, denen keiner (sic!) mehr anmerkt, was sie einst trennte. G. Schröder, J.Fischer , R. Scharping …” (Schlagzeile im Tagesspiegel 8.4., S. 3)

“J. Fischer ist in sein hohes Amt gekommen auch als das Produkt jahre- und jahrzehntelanger Basisarbeit von hunderttausenden pazifistischer Idealisten, für die das ‘Nie Wieder’ auch bedeutet hatte, Wege zu suchen, aus der alten Außenpolitik auszusteigen. … Und was wäre geschehen, wenn Außenminister Fischer für Deutschland erklärt hätte, er verweigere seine Mitarbeit an der Nato- Militäraktion, wenn er seine Loyalität gegenüber denen erklärt hätte, die ihn gewählt haben und die von ihm die Anstrengung gewaltfreier Politik statt der einfachen Lösung der Waffen erwartet hatten, statt sich von der ausweglosen Logik der traditionellen Gewaltmanager der Nato überzeugen zu lassen? Der Bundeskanzler hätte ihn aufgrund seiner Richtlinienkompetenz zwingen oder entlassen müssen. Welch ein Sieg wäre das für die zukünftige Chance einer anderen Politik gewesen, und nebenbei auch noch welch ein potentieller Triumpf für die Grünen und ihre Stellung in der Öffentlichkeit. David gegen Goliath, Vernunft gegen Gewalt …” (Krippendorf, in: Freitag 9.4.99, S. 13)

Trittin oder das Dementi: April: Erst Kritik im Kabinett, dann Dementi in den USA. Mai: Erst Votum für Tyrannenmord, dann Dementi …

Angelika Beer “erklärte in einem Schreiben an Fischer, daß sie sich gegen die Umsetzung der NATO-Aktivationsorder - also den Beginn des Luftkrieges- ausgesprochen hätte, wenn sie den Text des Abkomens gekannt hätte. Fischer habe nicht alle diplomatischen Spielräume bei den Verhandlungen genutzt und Informationen über der Vertrag zurückgehalten.” (taz 12.4.99, S. 1)
Wer kann eine Partei noch ernstnehmen, die an herausgehobener Stelle, im Bundestag, sich eine verteidigungspolitische Sprecherin leistet, die zu unfähig ist, sich relevante Informationen zu beschaffen (z.B.: im Internet) bzw. beschaffen zu lassen, und so dumm, dies dann am 19. Tag des Krieges auch noch zu offenbaren?

Helmut Lippelt zu Rambouillet (s.o.): “Rambouillet war der letzte Versuch, dem angedrohten Luftkrieg mit einer diplomatisch-politsichen Lösung zuvorzukommen.” (taz 10.5., S.11)

Ludger Volmer: “Die Wandlung besteht nur darin, daß ich kein Oppositionsabgeordneter mehr bin, sondern Regierungsmitglied, und dort auf einer anderen Seite und in anderen Zusammenhängen handele.” (Ludger Volmer, taz 1.4.99)

“C. Ströbele, Uli Cremer und tutti quanti sollten sich beizeiten ernsthaft überlegen, wie lange sie noch den Pausenclown für J. Fischer machen wollen und weiter antimilitaristische und friedenspolitische Hoffnungen auf die Grünen fehlleiten wollen.” AK H. 425, 15.4.99, S. 3

“Die Grünen in Regierungsverantwortung mit der SPD, v.a. ihr A.minister J.Fischer, haben nicht nur schmählich versagt. Seine markige Hau-drauf-Unverschämtheit gegenüber G. Gysi im Bundestag war nichts anderes als eine Bankrotterklärung grüner Politik: Nun hat er gleich zu Anfang versprochen, deutsche anstatt grüne Außenpolitik zu betreiben. Seiner allgemeinen Beliebtheit ist das sehr zuträglich, wie die Umfragen zeigen. Zweck-Militarismus zahlt sich doch besser aus als Zweck-Pazifismus”, wie man an seinem Beispiel sieht. Und deswegen schlage ich vor, ihn und seine Adepten in allen Ehren deutsch zur SPD-CDU-Mitte zu entlassen. Warum? Die Grünen haben nur noch eine geringer werdende Chance, sich zu befähigen, wieder Alternativen jenseits der desaströsen Realpolitik zu entwickeln. Ansonsten hat es sich für die Grünen ausgegrünt.” (Halina Bendkowski, taz 28.4., S. 7)

“Die beiden derzeit in der Bundestagsfraktion dominanten Gruppen - die Alt-68er der Realos und die jungen Fachpolitiker vom Schlage Berninger und Heyne - sind im doppelten Sinne bürgerlich: bereit, Realität als unveränderbar zu akzeptieren (Horkheimer), und vermeintlich darauf angewiesen zu ’streben’ …” (Stefanie Christmann, in : Freitag 9.4.99 , S. 5)

P.S.: “Die Serben sind alle Verbrecher / Ihr Land ist ein dreckiges Loch / Die Russen sind nicht viel besser / Und Keile kriegen sie doch” (Inschrift 1914 auf dt. Eisenbahnwagen, die Soldaten an die Front transportierten.)

Anmerkungen

[1] In der ‘Kommune’ 5/99 heißt es bspw.: “das Wahnsystem (!??) des großserbischen Nationalismus (stürzt) seit 10 Jahren den Balkan in eine Kette von Blutbäden und Katastrophen …” (76). Vgl. dazu nur zwei Zeitungsmeldungen aus dem September 1995: “Während die Aufmerksamkeit der Welt auf die Auseinandersetzung zwischen dem Westen und den bosnischen Serben gerichtet war, waren die kroatische Armee und paramilitär. Einheiten eifrig damit beschäftigt, die jahrhundertealten Spuren serbischer Präsenz in der ehemals von Kroatien abgespaltenen Krajina auszulöschen.” (Washington Post 4.9.) Die ‘Zeit’ berichtet vom “brutalen Vorgehen der Kroaten in der Krajina. Täglich werden UN- und EU- Beobachter Zeugen, wie ganze Dörfer in Flammen aufgehen, wie systematisch serbischer Besitz zerstört oder enteignet wird. Verbliebene Serben sind bedroht, an mehreren Orten haben UN-Angehörige Leichen mit abgetrennten Köpfen gefunden. Westliche Regierungen sehen daran vorbei oder ermahnen Zagreb nur zaghaft.”

[2] “Nach Schätzungen des US-Außenministeriums werden dort jährlich von der Regierung und ihren paramilitärischen Verbündeten ähnlich viele Menschen aus politischen Gründen umgebracht wie im Kosovo; und mehr als eine Million Menschen sind vorwiegend wegen solcher Grausamkeiten auf der Flucht. Kolumbien aber war das Land der westlichen Hemisphäre, das die meisten Waffenlieferungen und militärische Ausbildungshilfe aus den USA erhielt, während in den 90er Jahren die Gewalt dort eskalierte; diese Hilfe wird derzeit noch verstärkt unter dem Vorwand, es werde ein ‘Drogenkrieg’ geführt, was fast alle ernstzunehmenden Experten verneinen. Die Clinton-Regierung war besonders voll des Lobes für Präsident Gaviria, dessen Amtszeit nach Aussagen von Menschenrechtsorganisationen für ein erschreckend hohes Niveau der Gewalt’ verantwortlich war, das selbst das von seinen Vorgängern erreichte noch übertraf.” (Noam Chomsky:Nato-Bomben auf Jugoslawien: Ein Blick hinter die Rhetorik. In: Marxist. Blätter Special April 99, S. 46)