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(in: Telepolis 19.2.2022)

Wer sich für geschlechtergerechte Sprache interessiert, wird fragen: Welches Geschlecht herrscht vor, wenn die Sprache auf das zu sprechen kommt, was für uns Menschen zentral ist? Fangen wir an mit der unbestreitbaren Bedingung alles irdischen Lebens. Ist es bloßer Zufall, dass uns, wenn wir darüber reden, zuerst die Sonne einfällt und dass der andere sichtbare, aber für uns minder lebensnotwendige, ja im Vergleich zur Sonne geradezu als Aschenputtel firmierende Planet den männlichen Artikel zugeteilt bekommt?

So etwas kann ja mal passieren, denken wir. Das Wohl und Wehe der Menschen hängt schließlich nicht nur von den Himmelskörpern ab. Richten wir also unsere Aufmerksamkeit auf etwas Prosaischeres: Ohne die (!) Arbeit können Menschen nicht existieren. Erstaunlicherweise begegnet uns auch hier der weibliche Artikel. Die Wirtschaft, die Ökonomie und die Firma sind die Bereiche der Arbeit und Reproduktion. Die (!) Konjunktur dieser mit weiblichem Geschlechtswort versehenen Wesen erweist sich als entscheidend für die (!) Einkommenssituation der Menschen. Ihre Gesamtheit müssen wir, ob wir wollen oder nicht, wieder mit einem weiblichen Artikel versehen: die Bevölkerung.

Dafür, dass menschliche Lebewesen bewusste und gesittete Subjekte werden können, dafür sind bestimmte Einrichtungen unabdingbar. Gespannt fragen wir uns, welches Geschlecht unsere Sprache ihnen gibt. Es handelt sich um die (!) Erziehung und die Schule. Damit hört die (!) Sozialisation und die Bildung aber nicht auf. Was folgt auf die Schule? Richtig: Die (!) Hochschule oder die Universität. Und was vermitteln diese Einrichtungen? Die (!) Wissenschaft und die Kultur. Wie entsteht sie? Durch die (!) Forschung, durch die Erkenntnisarbeit und die Theorie. Was für eine auffällige Häufung des weiblichen Artikels bei den Stationen, die die Menschen durchlaufen, wenn sie sich zu kultivierten Wesen entwickeln.

Nun ja, vielleicht ist die Dominanz der weiblichen Wortform bereichsspezifisch. Fangen wir also noch einmal neu und unbelastet ganz woanders an und gehen dem nach, was für Menschen unbedingt erforderlich ist. Ohne die Nahrung können Menschen nicht überleben. Und wie können wir die Nahrung zu uns nehmen? Ohne die Gabel, die Tasse, die Terrine und die Tischdecke geht es nicht manierlich zu. Nicht nur beim Essen wird gesprochen. Menschen könnten sich nicht verstehen, wenn es an dem fehlt, das wir die (!) Sprache, die Kommunikation und die Information nennen.

Nun wollen Menschen ja nicht nur die Meinung ihres Gegenübers beeinflussen, sondern manchmal sich auch von einem zum anderen Ort bewegen. Auch hier treffen wir auf eine die männliche Form diskriminierende Sprache: Die Mobilität erfordert die Straße, die Bus- und Fluglinie, die Auto- und Straßenbahn. Und vergessen wir nicht die U-Bahn! Schon wieder drängt sich die weibliche Bezeichnung vor.

Bei aller Mobilität wollen Menschen auch gern mal rasten und ruhen. Dafür brauchen sie die (!) Wohnung. Was sind die notwendigen Bedingungen einer Wohnung? Die genderunsensible, weil das Männliche penetrant verdrängende Antwort lautet: Die Adresse, die Tür, die Klingel, die Einrichtung, die Küche, die Badewanne, die Dusche.

Innerhalb von Wohnungen leben Menschen zusammen. Auch in Bezug auf die (!) zwischenmenschliche Vergemeinschaftung findet sich überall der männliche Artikel ausgegrenzt. Gesprochen wird über die Beziehung, die Partnerschaft, die Ehe, die Familie. Auch in Bezug auf die anonymen Verhältnisse zwischen Personen (nebenbei: die (!) Person) verleiht die herrschende Sprache allem Wesentlichen ungehemmt die weibliche Sprachform. Die (!) Gesellschaft weist verschiedene Abteilungen auf. Zum einen handelt es sich um die (!) Ökonomie. Ohne die (!) Marktwirtschaft und die Konkurrenz bewegt sich hier nichts. Und die (!) Führungskraft setzt die (!) Disziplin durch. Eine andere gesellschaftliche Abteilung betrifft die (!) Verfassung. Wer sich einmal eine Ausnahme vom weiblichen Artikel erwartet, muss erfahren: Auch hier wird alles Wesentliche weiblich benannt: Die Jurisprudenz, die Legislative, die Exekutive. Oder : Die Regierung, die Verwaltung, die Rechtssprechung, die parlamentarische Verfahrensweise, die Wahl, die Kandidatur.

Die gesellschaftliche Außenwelt ist nicht alles. Es gibt auch noch anderes. Resigniert müssen wir feststellen, dass auch auf dieser Seite der weibliche Artikel Hase und Igel spielt und uns mitteilt: Ich bin schon da. Wollen wir über das Gegenteil zur Objektivität reden, so kommen wir auf … die Subjektivität oder die Lebenswelt. Das Männliche hat auch hier in der Sprache kein hohes Ansehen. Das belegen folgende positiv konnotierte Begriffe: Die Würde, die Klugheit, die Weisheit, die Liebe, die Zuneigung, die Anmut, die Eleganz, die Güte, die Anerkennung und die Rücksichtnahme, die Güte sind unbestreitbar von edlerer Qualität als der Hass und der Zorn. Lediglich der Liebreiz (für den aber niemand was kann) und der Verstand (dem aber zu misstrauen ist, jedenfalls dann, wenn er nicht von Güte, Zuneigung und Co. geadelt wird zur Vernunft oder gar Weisheit) sind kleine Zugeständnisse an das ansonsten verworfene Geschlecht.

Angesichts der genannten Beispiele kommen wir nicht umhin, die These aufzustellen: Die Ausbreitung des weiblichen Artikels im Sprechen ist enorm. Ihr vermag selbst im Protest gegen sie niemand zu entkommen. Sage ich angesichts dessen „Ich kriege die (!) Krise“, so bestätige ich durch meine Reaktion (die Reaktion) noch das, gegen das ich opponiere. (Selbst der „Opposition“ wird der weiblichen Artikel vorgeschrieben.) Totalitär wird diejenige Herrschaft, die die Kritik an ihr in die Form integriert, die ihr als Herrschaft eigen ist. Sie lässt bereits sprachlich nur das zu, was ihr entspricht, und deformiert damit den Widerspruch bereits in seiner Artikulation. Für die wirksame und nachhaltige Veränderung brauchen die an ihr Interessierten die (!) Analyse, die Theorie, die Vernunft und die Abstraktion. Die Sprache belegt zudem alle abstrakten Begriffe, die auf -keit oder -heit enden, mit dem weiblichen Artikel.

Der blinde Fleck der bisherigen Debatte um geschlechtergerechte Sprache
Bisher ist folgende Position in der Diskussion über geschlechtergerechte Sprache zentral: „Es geht um die sprachliche Gleichberechtigung und Sichtbarmachung aller Geschlechter, um die heutige gesellschaftliche Realität besser abzubilden, als es allein mit männlichen Personenbezeichnungen möglich sei“ (Johannes Piepenbrink, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Nr. 5-7, 2022, S. 3). Die Debatte hat sich verengt auf das sog. generische Maskulinum. Mit ihm wird bspw. von dem Schüler, dem Lehrer, dem Autor gesprochen, auch wenn Frauen und alle anderen Geschlechter gemeint sind. Die Konzentration bis Fixierung auf dieses Problem verengt bislang die Aufmerksamkeit für geschlechtergerechte Sprache massiv.

Anna Wzorek schreibt: „Unsere Welt besteht nun einmal nicht nur aus Männern, warum sollten wir sie also ausschließlich in männlicher Form denken?“ (Ebd., S. 4). Die Autorin reduziert personalistisch die Welt auf Personen. Dass zentrale Elemente der Natur, der Dingwelt sowie der Gesellschaft – wie gezeigt – weibliche Artikel tragen, dieses Thema kommt in der Auseinandersetzung um geschlechtergerechte Sprache nicht vor.

Viele nehmen Anstoß daran, dass Sprache ein Machtkonstrukt sei. Neben dem generischen Maskulinum wird als Beleg genannt, dass die Sprache die fluide Geschlechtlichkeit der vielfältigen Geschlechter nicht zu artikulieren vermöge. (Auch wenn Lann Hornscheidt sich als genderfrei versteht und die Pronominaform -ens nutzt. Also nicht Professorin oder Professor, sondern: Professorens!) Wie aber verträgt sich das Dogma „Die Diagnose vom Deutschen als Männersprache hat allen Versuchen widerstanden, sie zu bestreiten“ (Anatol Stefanowitsch, Ebd., S. 11) – was für Dogmen nichts Ungewöhnliches ist – mit der skizzierten Ausbreitung des weiblichen Artikels?

Selbstverständlich konnten wir in unserer Schilderung nur wenige Beispiele nennen. Es wird darauf ankommen, die Folgen dieses Sprachgebrauchs in ihren Tiefendimensionen zu vergegenwärtigen. Die Folgen sind immens und gravierend. Denn eines ist klar: „Sprache schafft Wirklichkeit“ (Wzorek, S. 4). Und: „Sprache macht Emotionen“ (Horst J. Simon, ebd., S. 16). (Verräterischerweise lassen beide AutorInnen den Artikel weg.) Denn wir wissen: „Es gibt nichts außer Text“ (Jacques Derrida, De la grammatologie. Paris 1967, S. 227).

Nur hilflos ist es, wie einst die Zeitschrift Titanic auf „Die Macht der Gefühle“ (ein Buch von Alexander Kluge) reagierte. Auf ihrem Titelbild zeigte sie einen Penis sowie die Überschrift „Der macht die Gefühle“. All das verbleibt noch tief in der Anthropozentrik. Sie blendet stur das Andere der Menschen aus. Erst im Kontakt mit weit gefassten Objekten aber werden Menschen zu Menschen. „Was […] ein Wesen ist, das wird nur aus dem Gegenstande erkannt; der Gegenstand, auf den sich ein Wesen notwendig bezieht, ist nichts anderes als sein offenbares Wesen“, so Ludwig Feuerbach (Grundsätze der Philosophie der Zukunft, 1843, § 7). Wollen wir nicht hinter die Verabschiedung der Anthropozentrik zurückfallen, so dürfen wir bei der Sprache nicht nur auf die Personen achten.

Ein A und O der Welt- und Selbstsicht besteht in der Diskriminierung des Männlichen in der Bezeichnung der Zentralobjekte unseres Seins. Foucault war kurz davor, in seiner Arbeit an der „kritische Ontologie unserer selbst“ (Foucault: Was ist Aufklärung) dieser unkritischen Ontologie auf die Schliche zu kommen. Nur sein früher Tod hat dies verhindert. Er hatte bereits lange nach dem „reinen Ursprung“ der „abendländischen Vernunft“ (Foucault: Wahnsinn und Gesellschaft, S. 11) gesucht. Foucaults Genealogie hat oft „das Lot in die Tiefen gesenkt“ (Foucault: Subversion des Wissens, S. 101), um den „Ort der Herkunft“ zu finden (Ebd., 91). Wir Nachgeborenen konnten vollenden, was er begann.

Nichts geringeres als ein Paradigmenwechsel steht an. Alles hängt nun davon ab, die Wahl des Geschlechts in Bezug auf diejenigen Objekte, die für Menschen wesentlich sind – von „die Sonne“ bis zu „die Dusche“ – ernstzunehmen. Hier sitzt der Ausgangspunkt für die grundstürzende Revision der verengten Debatte. Nur wenige nehmen das bislang wahr und viele wollen es (noch) nicht wahrhaben. Die entscheidende Wende lässt sich aber nicht mehr aufhalten. Die Transformation wird weit mehr als die Auseinandersetzung um die geschlechtergerechte Sprache umwälzen. Sind
erst die Vorstellungen revolutioniert, hält die Wirklichkeit nicht stand.